Dieser Artikel erschien zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.
Die Bauernproteste fanden in zahlreichen Medien Gehör. Hier eine Zusammenfassung der Pressestimmen.
Berliner Morgenpost
Deutschlands Bauern sind erzürnt. Die geplanten und nun wieder in Teilen von der Bundesregierung zurückgenommenen Kürzungen bei Kfz-Steuer und Agrardiesel haben einen Sturm entfacht, den die Landwirte in diesen Tagen wieder auf die Straße tragen. Längst geht es um mehr als nur ein paar Haushaltsmillionen. In dem Protest entlädt sich vor allem das Gefühl von zu geringer Wertschätzung und Abhängigkeit. Das muss man verstehen.
Wie kaum eine Branche sonst ist die Landwirtschaft auf öffentliche Gelder angewiesen. Die Agrarsubventionen sind der größte Posten im Haushalt der Europäischen Union. Mehr als sechs Milliarden Euro flossen aus Brüssel zuletzt an die deutschen Höfe. Ohne die Zahlungen geht die gesamtwirtschaftliche Rechnung vieler Bauern nicht auf. Die große Reform, nachhaltig etwas an dem Subventionssystem zu ändern, hat man bislang verpasst, auch weil Beharrungskräfte innerhalb der Bauernschaft groß und die politische Lobbyarbeit stark sind.
Kieler Nachrichten
Die Landwirte sehen sich seit Jahren einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt. Steigende Auflagen bei sinkenden Preisen, höhere Lohn- und Energiekosten sowie mangelnde Perspektiven treiben sie um. Die Art und Weise, mit der die Ampel in Berlin agierte, stößt nicht nur den Bauern sauer auf. Widersprüchliche Aussagen und Rollen rückwärts statt Weitsicht und Verlässlichkeit – das bewegt auch Handwerker und Speditionen, die sich dem Protest anschließen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Verbände tun sich schwer, im politischen Dauerstreit um Kosten, Ausrichtung und existentielle Belastung der Landwirtschaft ihre Bauernschaft bei Laune zu halten. Die radikale Minderheit, die sich an der Nordsee gegen Habeck richtete, fühlt sich – der Vergleich drängt sich auf – als Letzte Generation der Landwirtschaft. Entsprechende Emotionen und aufgestaute Wut sind nicht mit ökologisch-progressiver Ideologie gefüllt, sondern mit Systemkritik, die eher an die AfD erinnert.
Habeck und Özdemir müssen sich fragen lassen, wie durchdacht die Beschlüsse waren, an denen zumindest Habeck mitgewirkt hatte, wenn sie nur wenige Wochen später sang- und klanglos zurückgenommen werden müssen. Die Abschaffung der KFZ-Steuerbefreiung für die Landwirte ist erst einmal vom Tisch, die Vergünstigungen für den Agrardiesel sollen nicht sofort, sondern in Stufen abgeschafft werden. Das hätte man auch gleich haben können.
Süddeutsche Zeitung
Einer der Sprüche, die gerade bei Facebook Konjunktur haben, lautet: "Die Bauern gehen nicht für sich auf die Straße, sondern für uns alle!!! Ich hoffe ihr denkt soweit." In den beiden Sätzen steckt viel mehr drin, als ihr Verfasser vermutlich offenbaren wollte: die Sehnsucht nach der simplen Wahrheit, das Empfinden, ein Monopol auf gesunden Menschenverstand zu haben, der vermeintliche Gegensatz von "uns allen" und Regierung.
Vielen Bauern wäre indes auch dadurch geholfen, dass diese "alle" öfter im Hofladen statt beim Discounter einkaufen würden; dass sie die Produktion von Freilandeiern belohnen, indem sie die Eier aus Bodenhaltung stehen lassen.
Ob der Bauernverband mit seiner Devise "Wachse oder weiche" über die Jahrzehnte wirklich im wohlverstandenen Interesse des ihm anvertrauten Berufsstandes agiert hat, wäre eine weitere Frage, bei der die Antwort in kein Posting passt. Aber immerhin scheint der Verband erkannt zu haben, welche Verantwortung er nun hat. Er macht das, was Söder und Aiwanger vermeiden: Er ruft allen die demokratische Form von Auseinandersetzung in Erinnerung: sich an Recht und Gesetz halten, die "Privatsphäre unserer Gesprächspartner" respektieren, auf keinen Fall Symbole wie Galgen heranschleppen. Traurig, dass man das sagen muss. Gut, dass es gesagt wird.
Westfälische Nachrichten
Das Verständnis der Bevölkerung ist noch groß, obwohl das Ausmaß des Bauernprotestes unverhältnismäßig erscheint. Zumal die Ampel bei der Hälfte der Subventionskürzungen zurückgerudert ist. Dass trotzdem die Bauern auf die Barrikaden gehen, hat sich die Politik selbst eingebrockt. Den Landwirten geht es um viel mehr – vor allem um eine wertschätzende Agrarpolitik auf Bundes- und EU-Ebene, die die Bauern trotz hohen wirtschaftlichen Drucks und schmerzhaften Strukturwandels überleben lässt. Kleineren Betrieben fehlt häufig die Perspektive. Zu viele geben auf.
Trotzdem: Der Protest darf Extremisten nicht den Boden bereiten. Der Bauernverband muss die Bauernfänger sichtbar auf Distanz halten. Mäßigung statt Maßlosigkeit muss die Maxime sein. Für die deutsche Protestkultur darf nicht plötzlich gelten, dass der, der am lautesten aufbegehrt, auch die Kuh vom Eis holt. Die gleichfalls von Sparplänen betroffenen Pflegekräfte oder Wirte haben keine dicken Trecker.
Rheinische Post
Das Ausmaß dieser Aktionen ist, gemessen am Anlass, unverhältnismäßig. Agrar-Ökonomen verweisen darauf, dass die — nunmehr deutlich reduzierten — ökologisch begründeten Subventionskürzungen für die meisten Höfe durchaus verkraftbar sind.
Mit der Rücknahme hat die Regierung gezeigt, dass sie sich von massiven Protesten beeindrucken lässt. Jetzt will sich die Regierung nicht weiter erpressen lassen. Recht so. Doch diese Ankündigung dürfte bei vielen nicht mehr verfangen. Die Bauernproteste dürften im Gegenteil eher Nachahmer finden.
Die Regierung hat sich diese ungute Entwicklung selbst eingebrockt. Denn nicht nur gründete Olaf Scholz die Ampelkoalition auf einem nicht verfassungsfesten Haushalt. Seiner Regierung gelang nach dem Verfassungsurteil auch kein alle überzeugender Haushaltskompromiss, der überdies kommunikativ völlig unzureichend vorbereitet und begleitet worden ist.
Handelsblatt
Die Streichpläne der Regierung für die Landwirtschaft sind ein Unding – weil sie zu mickrig ausfallen. Viele Subventionen für Bauern sind unnötig, unsinnig, überdimensioniert und rückwärtsgerichtet. Erhöhte Ticketsteuer für Fluggesellschaften und höhere Dieselsteuer für die Landwirtschaft, beides gehört zum Sparpaket der Bundesregierung. Doch die Bauern nehmen sich einen völlig überzogenen Aufstand heraus.
Was sie ignorieren: Die deutsche Landwirtschaft ist hochsubventioniert, viel zu hoch. Und sie wird es bleiben, auch mit etwas weniger Dieselzuschuss. Den deutschen Bauern sind Unternehmerinnen und Unternehmer, was man ihnen überhaupt nicht vorwerfen kann. Nur sollten sie auch genauso behandelt werden.