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topplus Schweinemarkt in der Krise

German Meat: „Ein Ausstiegsprogramm bringt gar nichts!“

Ein kleineres Angebot und weniger Exportabhängigkeit könnten dem Schweinemarkt aus der Krise helfen, glauben viele. Steffen Reiter von der Exportorganisation German Meat sieht das völlig anders.

Lesezeit: 7 Minuten

Mit dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) hat Deutschland wichtige Exportmärkte verloren. Welche Rolle spielt der EU-Export und der Drittlandexport aktuell noch für die deutsche Fleischbranche?

Steffen Reiter: Es stimmt, der Verlust unserer wichtigsten Drittlandmärkte hatte dramatische Auswirkungen auf die Branche. Für Teilstücke, die bisher als Spezialitäten z.B. in China vermarkten wurden, müssen nun neue Absatzwege gefunden werden - mit oft schwächeren Erlösen. In den ersten sieben Monaten 2021 haben sich die Ausfuhren in Drittländer im Vorjahresvergleich mehr als halbiert. Das ist dramatisch. Dennoch spielt der Export für uns weiterhin eine große Rolle. Die Gesamtausfuhren in Drittstaaten und EU sind um 4,3 Prozent auf 1,37 Mio. t gesunken. Der Ausfuhrwert aber ist um 28 Prozent gefallen.

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Wie viel verlieren deutsche Exporteure und letztlich Landwirte aktuell durch den fehlenden ASP-frei-Status an Wertschöpfung?

Reiter: Wenn Sie Nebenprodukte als Delikatessen in Drittländer vermarkten können, erlösen Sie dafür zusätzlich etwa 25 € pro Schwein. Das fehlt uns jetzt. Einige Drittländer haben aber die Regionalisierung anerkannt, schließen also nur Fleisch aus den ASP-betroffenen Gebieten aus. So konnten wir z.B. die Lieferungen nach Hongkong, Vietnam oder Thailand ausbauen. Das ist aber kein Ersatz für das Chinageschäft.

Wir brauchen die Drittlandmärkte und hochrangige politische Unterstützung

Viele Marktteilnehmer sehen keine schnelle Lösung für das ASP-Problem und schreiben den Export auf Jahre hinweg ab. Wie sehen Sie langfristig unsere Exportchancen bei Schweinefleisch?

Reiter: Das ist zu einfach. Selbst wenn Deutschland weniger produziert, wird weiterhin exportiert. Es geht immer um eine möglichst optimale Vermarktung aller Teilstücke und Qualitäten. Dafür brauchen wir Drittländer und EU-Staaten.

Asien hat uns bei der Wertschöpfung aus Nebenprodukten geholfen. Jetzt ist Italien wieder unser wichtigster Exportpartner. Hier haben wir immer Schinken zur Weiterverarbeitung geliefert. Dennoch brauchen wir die Drittlandmärkte.

Das BMEL muss schnell und nachdrücklich die Regionalisierung verhandeln. Die Gespräche mit den Veterinärdiensten der Drittländer müssen politisch hochrangig begleitet werden. In Nachbarländern setzen sich Staatspräsidenten oder sogar gekrönte Häupter für die Belange ihrer Tierhalter und der Fleischwirtschaft ein.

Deutschland hat hier noch mächtig Nachholbedarf. Selbst mit ASP im Land ist einiges möglich. Das zeigen die ersten Verhandlungserfolge bei uns und anderen betroffenen Länder wie z.B. Ungarn oder Polen.

In China sind die Preise abgestürzt und es herrscht eine Überversorgung an Schweinefleisch. Braucht Asien auf Dauer überhaupt Lieferungen aus Europa?

Reiter: Das sehe ich ganz anders. In China hat sich die Produktion zuletzt wieder normalisiert. Die letzten Jahre waren durch den Ausbruch der ASP absolute Krisenjahre mit sehr hohen Importen. China führt auch weiterhin hohe Mengen ein. Allein im Juli über 400.000 t Schweinefleisch. 2017 – also vor dem Ausbruch der ASP in China, hat Deutschland knapp 360.000 t Schweinefleisch nach China geliefert. Das zeigt, wie groß das Potential auch in „normalen“ Jahren ist. Und es ist unabdingbar, dass Deutschland dieses Potential künftig wieder nutzen kann.

Was denken Sie, wann in Asien wieder mehr Fleisch gebraucht wird, und die Preise dadurch auch in Europa wieder besser werden?

Reiter: Die ASP-Krise in Asien ist längst noch nicht ausgestanden, u.a. Südkorea und auch die Philippinen kämpfen weiter mit neuen Ausbrüchen auch bei Hausschweinen. Die Länder sind weiter auf Importe angewiesen, genaue Prognosen dazu sind aber schwierig.

Andere Länder haben eine viel höhere Selbstversorgung und stellen Exporte nicht in Frage

Laut Statistik hat Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von über 125 % bei Schweinefleisch. Der sinkende Verzehr treibt den SVG noch weiter nach oben. Sollten wir uns nicht auf den heimischen, kaufkräftigen Absatzmarkt konzentrieren?

Reiter: Eine Selbstversorgung gibt es doch nur auf dem Papier. 125 % sind alles andere als bedenklich hoch. Andere Länder liegen deutlich darüber und stellen ihre Exporte nicht in Frage: Dänemark (621 %), Spanien (205 %), die Niederlande (335 %) Belgien (247 %). Würde Deutschland auf 100 % absenken, bleibt die Frage, wer die Ohren, Schwänzchen, Lebern isst. Diese müssten weiterhin exportiert werden, während der Import von beliebten Teilstücken wie Filets weiter ansteigt.

Wie viel Prozent vom Schlachtkörper eines Schweins können wir in Deutschland eigentlich sinnvoll verwerten?

Reiter: Verwertet wird immer der ganze Schlachtkörper. Dabei hat bei Fleisch und Nebenprodukten die Vermarktung als Lebensmittel in Deutschland oberste Priorität. Erst dann folgt der Export. Nur wenn dies nicht möglich ist, wird anderweitig verwertet. Nehmen wir ein Schwein mit 119 kg Lebendgewicht. Etwas mehr als die Hälfte davon ist Fleisch (62 kg). Aber auch Knochen, Blut und Fett bis hin zur Haut und den Borsten leisten einen wichtigen Beitrag als Lebensmittel sowie für Produkte aus Forschung und Industrie.

Mit einem Ausstiegsprogramm würden wir nur Produktion ins Ausland verlagern

Dennoch wäre es für Schweinehalter wohl einfacher höhere Preise zu erzielen, wenn die Erzeugung in Deutschland durch ein Ausstiegsprogramm schnell sinkt und Schlachtbetriebe um das kleinere Angebot konkurrieren, oder nicht?

Reiter: Die rein nationale Betrachtung springt zu kurz. Wir stehen auf dem EU-Binnenmarkt im Wettbewerb. In Deutschland geht die Schweinefleischerzeugung schon seit fünf Jahren zurück und andere EU-Länder haben das locker ausgeglichen.

Ein Ausstiegsprogramm für Schweinehalter hätte allenfalls kurzfristige Effekte und würde Produktion ins Ausland verlagern. Ein nationales Programm hat keinen Einfluss auf den globalen Schweinefleischmarkt. Was wir brauchen ist mehr Absatz. Dabei helfen werbliche Maßnahmen für das nach hohen Standards in Deutschland erzeugte Fleisch aber auch die Wiedereröffnung wichtiger Drittlandmärkte.

Wir stehen im Wettbewerb, den wir nicht gewinnen können. Unsere Produktionskosten sind schon jetzt viel höher als in Spanien oder Osteuropa. Durch Abgaben, Auflagen, Arbeitsschutz, etc. steigen sie immer weiter. Mit Brasilien oder den USA brauchen wir uns erst recht nicht messen. Wie soll das in Zukunft funktionieren?

Reiter: Die bäuerlichen Tierhaltungsbetriebe zusammen mit effizienten Fleischvermarktern haben sich als äußerst wettbewerbsfähig erwiesen. Anders wäre es z.B. nicht möglich gewesen in 2020 knapp 600.000 t Schweinefleisch nach China zu exportieren. In dieser Zeit hatten wir auch hohe Auszahlungspreise für die heimischen Landwirte. Die ganze Kette hat vom Export profitiert.

Klar ist aber auch: Die Leistungsfähigkeit erhalten wir nur, wenn die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU nicht weiter auseinanderdriften, sondern in Sachen Tierhaltungsanforderungen, Energiesteuern und –abgaben harmonisiert werden.

Der Trend zu mehr Tierwohl läuft in Deutschland viel schneller als in Spanien oder Osteuropa. Ist die Harmonisierung der Auflagen nicht mehr als ein frommer Wunsch?

Reiter: Beim Thema Tierwohl ist das in der Tat schwierig. Deshalb sollte die neue Bundesregierung die Empfehlungen der Borchert-Kommission schnell umsetzen. Das schließt die Finanzierungsfrage und die Schaffung von baurechtlichen Freiräumen für den Umbau der Tierhaltung mit ein. Die heimischen Betriebe brauchen verlässliche Rahmenbedingungen.

In Deutschland könnte Haltungsform 3 auf Dauer Standard sein. Sind Produkte mit mehr Tierwohl möglicherweise bald die Exportschlager?

Reiter: Das Thema Tierwohl spielt in vielen Ländern nicht so zentrale Rolle wie bei uns. Es ist nicht absehbar, dass die Weltmärkte den deutschen Haltungsweg in größerem Stil honorieren.

Fleischersatzprodukte sind bisher ein Scheinriese

Fleischersatzprodukte und Startups mit künstlichem Fleisch sprießen aus dem Boden. Welche Chancen geben Sie diesen Produkten und wird Deutschland dabei auch im Export von proteinalternativen eine größere Rolle spielen?

Reiter: Fleischersatzprodukte sind bisher ein Scheinriese. Die Wachstumsraten sind groß, der Marktanteil aber minimal. Haupttreiber beim Konsum dieser Produkte ist die Neugier. Die Rohstoffkosten sind gering, die Preise aber hoch, um die Margen der sogenannten „First Mover“ abzuschöpfen.

Klar ist aber auch, dass dieses Segment weiterhin wachsen wird. Künstliches Fleisch scheint noch lange nicht marktreif zu sein. Ich erkenne bisher auch keinen echten Nutzen für die Umwelt. Die Rohstoffe wie Protein und Fett müssen ja irgendwo herkommen. Dazu müssen sie extrem rein und unter sterilen Bedingungen hergestellt werden, der Energieeinsatz ist hoch. Da liegt es näher, überwiegend für den Menschen unverdauliche Pflanzenrohstoffe durch den Tiermagen zu hochwertigem Fleisch zu veredeln.

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