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Interview

Hipp hält konventionelle Lebensmittel für deutlich zu billig

Konventionell erzeugte Lebensmittel sind nach Ansicht von Stefan Hipp noch immer zu günstig, weil die Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft nicht eingerechnet seien.

Lesezeit: 8 Minuten

Der Präsident des Europäischen Dachverbandes für ökologische Verarbeitung und Handel (OPTA), Stefan Hipp, sprach mit dem Pressedienst Agra Europe über das Kommissionsziel, 25% der Anbaufläche bis 2030 ökologisch zu bewirtschaften, das Entwicklungspotential in einzelnen EU-Mitgliedstaaten und zum Thema Rückstände in Bioprodukten.

AgE: Herr Hipp - Sie sind im Sommer als Präsident des Europäischen Dachverbandes für ökologische Verarbeitung und Handel (OPTA) für die kommenden drei Jahre wiedergewählt worden. Was haben Sie sich für diese Zeit vorgenommen?

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Hipp: Wenig überraschend wollen wir den Bio-Sektor weiter stärken. Zunächst einmal ist es natürlich schön, dass die EU-Kommission mit dem Green Deal einen EU-weiten Flächenanteil für Bio von 25 % anstrebt. Die Fläche ist das eine. Das andere ist aber, dass wir natürlich auch darauf achten müssen, dass der Markt entsprechend mitwächst.

Am Ende hat der Ökolandbau langfristig nur Erfolg, wenn wir die Konsumenten motivieren und überzeugen können, ihre Nachfrage nach Bioerzeugnissen zu steigern. Neben der Motivation der Nachfrageseite ist es im Sinne der Nachhaltigkeit, wenn auch die Politik Hilfestellung leistet.

In den vergangenen zwei Jahren, auch durch Corona, hat es einen unheimlichen Bio-Boom bei den Verbrauchern gegeben. Aber mittlerweile gibt es so viele andere Dinge, die die Welt bewegen, sodass wir an mancher Stelle zunehmend den Eindruck haben, dass durchaus mehr passieren könnte.

Was wünschen Sie sich konkret von der Politik?

Hipp: Zum Beispiel wünschen wir uns, dass in öffentlichen Einrichtungen, in Kitas oder Krankenhäusern deutlich mehr Bioware angeboten wird. Es könnte einen Bio-Tag in der Woche geben. Das wäre einerseits gute PR für unseren Sektor, andererseits ist es Motivation, mehr für die Umwelt zu machen. Aber es ist auch zu überlegen, was die Politik machen kann, um die großen Preisunterschiede zwischen konventionell und Bio zu verringern.

Muss ökologisch erzeugte Ware also preiswerter werden?

Hipp: Die Preise setzt letztendlich der Handel. Meine Überzeugung ist allerdings, dass konventionelle Lebensmittel deutlich zu billig sind. Die konventionelle Landwirtschaft bringt einige Folgeeffekte mit, die sie als Schrammen in unserer Umwelt hinterlässt. Zu nennen wären Chemikalien im Grundwasser und Boden sowie der Rückgang der Artenvielfalt. Das sind alles Schäden, die wir am Ende auch als Verbraucher wieder bezahlen müssen.

Sie beklagen also die Externalisierung der Folgekosten. Wie soll der Staat hier am wirkungsvollsten eingreifen? Wie soll aus Ihrer Sicht der Öko-Bauer genug verdienen, wenn die Preise für Bioprodukte sinken sollen?

Hipp: Eine Möglichkeit wäre, die Mehrwertsteuer für biologische Lebensmittel herunterzusetzen oder am besten ganz zu streichen. Wenn der Handel seinen Beitrag leistet, und das dann am richtigen Platz ankommt, bringt es Bio nach oben. Es darf hingegen nicht sein, dass die Preise einseitig auf Kosten der Biolandwirte runtergehen.

Zielmarke beim Ökoausbau wird wohl verfehlt

Hinter vorgehaltener Hand wird in der Kommission aktuell für das Jahr 2030 ein Ökoflächenanteil von etwas über 15% als realistisch eingeschätzt. Halten Sie die geplanten 25 % angesichts der derzeit hohen Inflation noch für realistisch?

Hipp: Wenn wir unsere Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion verändern wollen, dann müssen wir uns langfristige Ziele setzen, die wir auch erreichen können. Nichts geht da von heute auf morgen. So toll es ist, ein Ziel bis 2030 zu erreichen, das ist verdammt wenig Zeit.

Sie halten die 25 % also nicht für realistisch?

Hipp: Sagen wir es so: Ich würde es mir wünschen, dass wir dieses Ziel erreichen. Jeder Schritt in Richtung Bio ist gut und man braucht ehrgeizige Ziele. Aber am Ende müssen wir natürlich auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Egal was wir bis 2030 erreichen, die Anstrengungen für mehr ökologische Landwirtschaft dürfen dann nicht aufhören.

Was wäre Ihr langfristiges Ziel?

Hipp: Mein persönliches Ziel wäre 100 % Ökolandbau. Das ist ganz klar. Bitte gestatten Sie mir, dass ich als Präsident des Bio-Verbandes OPTA groß denke.

Das wäre noch ein weiter Weg. Gegenwärtig liegt der EU-weite Flächenanteil von Bio bei etwa 10 %. Wo sehen Sie für den Ökolandbau in der EU noch besonders großes Potenzial?

Hipp: Das umfassendste Verkaufspotenzial haben allein durch die Größe Deutschland und Frankreich. Unser westlicher Nachbar hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt. Früher war Regionalität dort wichtiger, aber zuletzt ist der Biosektor dort unglaublich gewachsen und hat aus meiner Sicht noch sowohl bei der Erzeugung als auch auf der Marktseite großes Potenzial.

Wenn ich nach Ost- und Mitteleuropa schaue, dann bestehen aufgrund der landwirtschaftlichen Erzeugung ganz bestimmt in Polen noch viele Möglichkeiten, den Sektor auszubauen. Hier ist auch die Landwirtschaft sehr viel kleiner strukturiert als in vielen anderen EU-Staaten - ein Vorteil für Bio. Allerdings muss man diesen Kleinbauern auch durch entsprechende Fördermaßnahmen die entsprechenden Chancen eröffnen.

Wir müssen aus meiner Sicht ohnehin viel mehr daran setzen, die Kleinbauern zu schützen. Sie leisten sehr viel für die Landschaftspflege und den Erhalt der ländlichen Kultur. Aber auch in allen anderen EU-Ländern haben Landwirte wie auch die Verbraucher die Möglichkeit, mit jedem Hektar und jedem Einkauf einen Beitrag für 25 % Bio zu leisten.

EU-Kommission muss Bauern und Basis verstehen

Lassen Sie uns zur konkreten EU-Politik wechseln. Was wünschen Sie sich von der Europäischen Kommission?

Hipp: Ich wünsche mir mehr Pragmatismus, wenn es um das Thema Bio geht. Die Kommission muss sich stärker mit den Anliegen der Basis auseinandersetzen und diese verstehen. Es werden viele Regeln gemacht, die einen politischen Kompromiss aus den vorgetragenen unterschiedlichen Interessen darstellen.

Leider werden die politischen Ideen dann aber nicht noch einmal mit den Experten vor Ort diskutiert. Damit meine ich vor allem die Biobauern; viele von ihnen betreiben seit Jahrzehnten Ökolandbau.

Genauso hilfreich wäre es aber auch, mit den Bioverarbeitern direkt zu sprechen. Wir wundern uns in der Lebensmittelindustrie manches Mal, dass es neue gut gemeinte Gesetze gibt, jedoch niemand aus der Praxis vor Verabschiedung des Kompromisses gefragt wurde, ob das Verhandlungsergebnis machbar und sinnvoll ist. Wir würden uns freuen, wenn die Experten der EU-Kommission noch viel präsenter in der Praxis wären. Die Türen der OPTA-Mitglieder stehen der Kommission jederzeit offen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Hipp: Ein Beispiel ist das Thema Höchstgehalte für Rückstände und Kontaminanten. Da werden Werte für sehr breit gefasste Produktgruppen festgesetzt, die jedoch für einzelne Erzeugnisse innerhalb dieser Gruppe vollkommen unrealistisch sind.

Die Kommission müsste deswegen über die statistische Auswertung von Daten hinaus erst einmal mit den Menschen an der Basis sprechen, um die Grundlagen zu verstehen.

Ein weiteres Thema sind die Fördermittel für den Biosektor. Hier wünschen wir uns als OPTA sehr viel mehr Harmonisierung auf EU-Ebene und mehr Unterstützung. Aktuell gibt es zwischen den Mitgliedstaaten riesige Unterschiede.

Agrarprämien EU-weit vereinheitlichen

Wo bestehen diese?

Hipp: Der polnische oder rumänische Biobauer bekommt deutlich weniger staatliche Unterstützung als in anderen, vor allem größeren Ländern gezahlt wird. Er muss aber letztendlich auf dem EU-Binnenmarkt mit seinen Kollegen in Deutschland, Frankreich und Italien konkurrieren. Wenn man also in der Subventionspolitik mehr Einheitlichkeit hinbekommen würde, erhöhte sich in vielen Regionen der EU die Motivation der Landwirte, auf Öko umzustellen und damit auch nachhaltiger zu produzieren.

Was halten Sie von regionalen Erzeugnissen und der Werbung für diese?

Hipp: Ein Lebensmittel, das konventionell hergestellt ist, kann a priori nie so nachhaltig sein wie ein biologisches. Es kamen zuletzt gehäuft Nachhaltigkeitssiegel für regionale Erzeugnisse auf den Markt. Meiner Ansicht nach stellen diese aber keine nachhaltigere Alternative dar, denn auch regional ausgebrachte chemisch-synthetische Spritz- und Düngemittel belasten die Umwelt. Die regionalen konventionellen Siegel verdrehen hier die Realitäten.

Eine auch von den Umweltverbänden immer wieder aufgegriffene Thematik ist der chemische Pflanzenschutz und seine Rückstände. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Hipp: Wenn es um das Thema Rückstände geht, dann kann man in der Welt, in der wir leben, nicht erwarten, dass ein Bioprodukt davon komplett frei ist. Das ist leider traurige Realität. Bio produziert nicht unter einer Glasglocke.

Wir haben in den vergangenen 70 Jahren unsere Böden und das Wasser stark belastet und bekommen die Folgen heute zu spüren. Biobauern haben daher einen schweren Stand. Er macht in der Regel zwar vieles richtig, der Nachbar spritzt aber in zwei Kilometer Entfernung und durch Abdrift kommt etwas auch auf seine Flächen.

Die ursprüngliche Absicht der EU-Kommission, dass der Biolandwirt dann sein Bio-Zertifikat verlieren sollte, lehnen wir natürlich aus Gründen der Gerechtigkeit strikt ab. Zum Glück konnte sich dieser Ansatz bislang auch nicht durchsetzen.

Herkunftskennzeichnung begrüßenswert

Die Kommission hat seit Längerem einen Vorschlag zur Herkunftskennzeichnung angekündigt. Ob aber ein solcher Vorschlag noch unter der jetzigen Kommission kommt, ist mittlerweile unklar. Viele Verarbeiter und Hersteller sehen dies kritisch. Wie stehen Sie als OPTA-Präsident dazu?

Hipp: Gegen die Herkunftskennzeichnung spricht aus meiner Sicht nichts - Bio kennzeichnet schon heute die Herkunft. Das ist Transparenz. Der interessierte Verbraucher sollte Produkte kaufen können, bei denen er weiß, woher etwas kommt. Zugleich ist es aber wichtig, dass jeder Hersteller auch in Zukunft selbst entscheiden kann, ob die Herkunftskennzeichnung für seine Kundschaft ein wichtiges Kriterium ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

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