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Klimaziele: Die Global Player der Lebensmittelbranche setzen vermehrt auf Landwirte

Weltkonzerne wollen klimaneutral werden. Einer davon ist Nestlé: Bis 2025 investiert er 1,25 Mrd € in regenerative Landwirtschaft. Ist das nur Marketing oder eine neue Chance für Erzeuger?

Lesezeit: 9 Minuten

Treffen sich ein Landwirt und der größte Lebensmittel- und Getränkehersteller der Welt im Saarland… Was die beiden dort verbindet? Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit mittels regenerativer Landwirtschaft. Dabei entsteht neben dem Schutz un­seres Klimas weiteres Potenzial: Von Marketingstrategien über bezahlte Blühflächen zu CO2-Zertifikaten als neue Einkommensquelle für Landwirte.

Viele Unternehmen der Lebensmittelkette fallen derzeit durch markige Ankündigungen ihrer Klimaziele auf. Darunter auch der Schweizer Konzern Nestlé: Bis 2025 plant der Hersteller von Marken wie der Wagner Pizza, Maggi, Smarties und Thomy rund 1,2 Mrd. CHF (rund 1,25 Mrd. €) in regenerative landwirtschaftliche Maßnahmen zu stecken.

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Denn bis dahin sollen 20 % seiner zwölf wichtigsten Rohstoffe auf diese Weise erzeugt werden. Bis 2030 sollen es 50 % sein. Auf der Suche nach dem richtigen Weg fließen die Milliarden in Pilot-Projekte mit Start-ups, NGOs und Forschungseinrichtungen, die die regenerative Landwirtschaft fördern sollen.

Landwirt trifft Weltkonzern

Landwirte wie Richard Schreiner setzen die Ideen dabei auf dem Feld um. Das EU-Life Projekt „Insektenfördernde Regionen“, an dem er teilnimmt, ist ein Beispiel für Nestlés Bemühungen. Bundesweit 24 Landwirte setzen hier Biodiversitäts-Maßnahmen auf 500 ha Fläche um.

Schreiner bewirtschaftet im saarländischen Bliesgau einen 330 ha großen Betrieb mit 180 Milchkühen. Auf seinen Flächen produziert er neben betriebseigenem Futter auch Getreide für die Bliesmühle, eine örtliche Mühle, die das Getreide für Nestlés Wagner-Pizza verarbeitet. Seinen Betrieb führt er konventionell, ist aber neugierig auf die regenerative Landwirtschaft und ihre positiven Auswirkungen.

Regenerative Landwirtschaft: Was ist das?

In Deutschland gibt es zu der Bewirtschaftungsart bislang keine einheitliche Definition. Das Konzept umfasst landwirtschaftliche Praktiken, die die Bodengesundheit, die Biodiversität und den Wasserkreislauf fördern. Auch die integrierte Tierhaltung ist ein wesentlicher Teil. Zu den Praktiken gehören z. B. Agroforstsysteme, Blüh- und Nützlingsstreifen, Untersaaten, Gemengeanbau, organische Düngung und ein angepasstes Weidemanagement. Im Prinzip das, was die Bauern seit Jahrhunderten machen, aber mit technischem Fortschritt und mehr Wissen. Korrekt umgesetzt bildet der Boden eine gesunde Kohlenstoffsenke. Die Vereinten Nationen (UN) empfehlen die aus den USA der 1970er stammende Bewirtschaftungsform für eine nachhaltige Ernährung der Menschheit.

Zu einem großen Teil dient das dem Konzern-Marketing. Klimaschutz trifft nun einmal den gesellschaftlichen Zeitgeist."
Richard Schreiner

Die Konzerninitiative von Nestlé bewertet Landwirt Schreiner teils kritisch. Er sagt: „Zu einem großen Teil dient das auch dem Konzern-Marketing. Klimaschutz trifft nun einmal den gesellschaftlichen Zeitgeist.“ Dennoch hat er sich entschieden, beim Projekt mitzumachen. Das Gesamtbudget beträgt 3,4 Mio. €, von denen rund 40 % EU-gefördert sind.

Nestlé investiert zusätzlich 440.000 € für Saatgut- und Investitionskosten, die bei Bedarf direkt an die Landwirte der eigenen Lieferkette gezahlt werden. Die Betriebe legen im Gegenzug Blühflächen und Nützlingsstreifen an. Die unkomplizierte, schnelle Zusammenarbeit mit der federführenden NGO, der positive Effekt für das Image der Landwirtschaft und seine persönliche Neugier sind Gründe, die Landwirt Schreiner zur Teilnahme motivieren.

Herausforderung: Unkrautdruck in den Folgekulturen

Allerdings zeigt sich auf Schreiners Feld ein Dilemma. Dort wächst Hafer mit einer Rotkleeuntersaat. Der Rotklee ernährt Schreiners Boden durch die Luftstickstoffbindung und dient seinen Kühen als Futterpflanze. In den Vorjahren hatte er eine jährliche Blühmischung mit Wildpflanzen für Wildbienen angesät. Jetzt kämpft er mit Unkrautdruck in seinen Folgekulturen.

Auch aus diesem Grund liegen die 9 ha, die er im EU-Life Projekt gemeldet hat, allesamt in extensiven Gebieten. Die Flächen sind entfernt vom Stammbetrieb, kleinteilig und eher ungünstig zugeschnitten, bei niedrigen Bodenpunkten. Hier sei die Anlage von Blühflächen für 750 € pro ha plus Saat­­gutkosten rentabel. Weitere geförderte Maßnahmen, wie 6 m breite Nützlingsstreifen, setzt er nicht um: „Die großen Flächen, die ich in der Vergangenheit zusammengelegt habe, möchte ich aus Gründen der Arbeitseffizienz nicht wieder teilen.“

Das Getreide, das Schreiner über die Mühle an Nestlé liefert, stammt also weiterhin von konventionell bewirtschafteten Flächen. Schreiner sagt: „Auf ertragsstärkeren Flächen produzieren Landwirte nach wie vor ihre 10 t Weizen – das ist einfach wirtschaftlicher.“ Wie erreicht Nestlé dennoch das 20 %-Ziel? Indem der Claim nicht an die Fläche, sondern an den gesamten produzierenden Betrieb gebunden ist.

Sie können von der Landwirtschaft nicht beides verlangen – perfekte Qualität und regenerative Maßnahmen.“
Richard Schreiner

Schreiner hat eine weitere Herausforderung beobachtet: Seitdem er die Mischkultur anbaut, entspricht die Erntequalität nicht mehr den Standards der Mühle. Die Rohstoffe würden unbrauchbar, durch einen unpassenden Feuchtegehalt oder einen Fremdbesatz von mehr als 2 %.

Schreiner sagt: „Wir sind noch in einer Testphase. Solange die Lieferkettenstandards nicht mit der reell zu erreichenden Qualität übereinstimmen, hat das Ganze wenig Chancen. Die Abnehmer müssen eine praktikable Lösung für Mischkulturen finden. Sie können von der Landwirtschaft nicht beides verlangen – perfekte Qualität und regenerative Maßnahmen.“ Nestlé zeigte sich im Gespräch offen für solche Rückmeldungen und wolle die Qualitätsstandards prüfen.

Start-up Klim handelt Zertifikate

Nestlés Bemühungen führen uns vom Saarland nach Brandenburg. Dort leitet Landwirt Thomas Gäbert die 4.000 ha umfassende Agrargenossenschaft Trebbin. Gäbert liefert an Sachsenmilch, einen der Hauptlieferanten für Nestlés Milchprodukte. Außerdem ist er einer der ersten Landwirte, der mit dem 2020 gegründeten Agritech-Start-up Klim zusammenarbeitet.

Klim fördert die regenerative Landwirtschaft mit Projekten in der Lieferkette von Unternehmen. Der Landwirt setzt Maßnahmen um, die CO2 einsparen und die Bodengesundheit stärken. Das Start-up verifiziert das Vorgehen und die Unternehmen, wie z. B. Nestlé, vergüten es. Und dieser Erlös fließt zu 70 % zurück an den Landwirt.

Gäbert erklärt die Zusammenarbeit am Beispiel eines rund 18 ha großen Schlags, auf dem er die Fruchtfolge anpasst: „Die letzten drei Jahre bilden das Ausgangszenario. Anhand der vergangenen Hauptkulturen berechnet Klim, wie hoch der CO2-Ausstoß ist.“ Dann legt er die im Folgejahr geplanten Maßnahmen an und sieht, wie viel CO2 er nun spart. „Nach Wintergerste, Silomais und Winterweizen baue ich in diesem Jahr Luzerne an, emittiere damit 46 t weniger und bekomme 1 381 € ausgezahlt.“ Auf einem weiteren Schlag zahlt Klim ihm 602 €, weil er mineralischen mit organischem Dünger ergänzt. So spart er weitere 20,6 t CO2.

Den Effekt misst das Start-up nicht etwa direkt am Boden. Vielmehr sind die Emissionen an die landwirtschaftliche Maßnahme gekoppelt. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat diesen Ansatz standardisiert.

Das Investment in den Boden rechnet sich

Befürworter der regenerativen Landwirtschaft verweisen auf positive Studien: Nach den ersten Umstellungs­jahren soll durch weniger Betriebs­mittel-Input und mehr organische Bodensubstanz eine langfristige Gewinnsteigerung bis zu 60 % sowie eine Ertragssteigerung bis zu 30 % eintreten.

Lobende Worte findet auch Gäbert für das Konzept der regenerativen Landwirtschaft und die Konzern-Initiativen: „Wir schaffen als konventioneller Betrieb viel für die Umwelt. Jetzt gibt es die Möglichkeit, dafür bezahlt zu werden.“ Wichtig sei aber, dass die Anpassungen weiterhin vergütet und nicht „schleichend zum neuen Standard werden“. Zudem benötige es eine klare Abgrenzung, was unter den Begriff regenerative Landwirtschaft falle.

Den Einstieg in die Bewirtschaftungsform findet er für Betriebe jeder Größe machbar. „Landwirte müssen in Saatgut von Zwischenfrüchten und neue Boden­bearbeitungstechnik investieren. Das rechnet sich natürlich nicht schon nach zwei Jahren“, so Gäbert. „Start-ups wie Klim nehmen uns jedoch einen Teil der finanziellen Last ab und übertragen sie mit den Handelspartnern z. B. auf die Produktpreise.“ Neben der Fruchtfolge und dem Düngemitteleinsatz liegen in den Bereichen Pflanzenschutz und Bodenbearbeitung weitere Stellschrauben, die von Klim vergütet werden.

Wir schaffen als konventioneller Betrieb viel für die Umwelt. Jetzt gibt es die Möglichkeit, dafür bezahlt zu werden.“
Thomas Gäbert

Was springt nun für Nestlé raus? Der Vorstandsvorsitzende Alexander von Maillot begründet den Aufwand mit der „Verantwortung eines Weltkonzernes“. Denn jährlich emittiert der Konzern mehr als 90 Mio. t CO2, davon stammen über 70 Mio. t aus der Landwirtschaft. Dieser millionenschwere Beitrag zum Treibhauseffekt soll bis 2050 zur „Grünen Null“ werden.

Von Maillot spricht obendrein von der Rohstoff-Abhängigkeit. Dürren und Co. machen auch bei den ganz Großen keine Ausnahmen. Die Umstellung soll die Lieferkette stabilisieren und Engpässen vorbeugen. Felix Jakobsen von Klim ist überzeugt, dass die regenerativen Maßnahmen in der Wertschöpfungskette „nicht mehr nur noch Marketing für Konzerne“ sind. Der Verlust von gesundem Boden führe zu Ernteausfällen. „Investitionen in den Boden sind also Investitionen in ihre Wirtschaftlichkeit“, so Jakobsen.

Hinter jeder Pizza, jedem Schokoriegel und jedem Schluck Kaffee liegt eine komplexe Produktionskette, an dessen Ursprung die Landwirte stehen. Nestlé hat das erkannt und versucht seine Klimaziele vom Acker aus anzugehen. Ob die Bemühungen und Anreize ausreichen, um genügend Erzeuger ins Boot zu holen? Bisher üben sich die Landwirte noch in Zurückhaltung.

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Nestlés Kriterien

Nestlé hat das Ziel, bis 2025 20 % der global wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer Landwirtschaft zu beziehen. Das wirft Fragen auf:

Welche sind die „wichtigsten“ Rohstoffe?

Folgende zwölf Rohstoffe machen zusammen 99,5 % ­aller Emissionen im Bereich Nutz- und Kulturpflanzen aus: Kakao, Kaffee, Soja, Palmöl, Zuckerrübe, Zuckerrohr, Weizen, Reis, Erdbeeren, Gemüse, Mais und Gerste.



Ab wann stammt ein Rohstoff für Nestlé aus regenerativer Landwirtschaft?

Der Konzern hat ein Dreistufenmodell entwickelt. Betriebe, die Stufe 1 erfüllen, fließen in die Berechnung ein. Für Getreide, Ölsaaten, Zuckerrüben, Hackfrüchte und ­Gemüse müssen Landwirte dabei folgende Maßnahmen umsetzen:

  • Flächen sind mind. 80 % des ­Jahres mit Getreide/Zwischenfrüchten/Mulch bedeckt oder Weideland,
  • Drei verschiedene Kulturen über drei Jahre auf mind. 30 % Fläche,
  • Teilnahme der Landwirte an Trainings über regenerative Praktiken,
  • Schwellenwert der Nestlé-internen „FAT-Bewertung“ (>25 %) erreicht.
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