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Transportverbot für Kälber unter 28 Tagen - Das sind die Folgen

Schon ab 2023 gilt das Transportverbot für Kälber unter 28 Lebenstagen. Welche Folgen hat das für die Praxis? Wir haben mit Landwirten und Experten gesprochen.

Lesezeit: 8 Minuten

Das eine schläft, das nächste nuckelt am Milcheimer und wieder ein anderes schaut aufmerksam hoch. Die neugeborenen Kälber von Frank Emken haben in 15 Einzelboxen in einem Bereich des Kuhstalls Platz.

Der Milcherzeuger aus Wüsting (Niedersachsen) melkt 200 Kühe. Seit vielen Jahren verkauft er die Bullenkälber im Alter von 14 Tagen an einen Mäster und behält nur die weiblichen Tiere auf seinem Betrieb. Die Kuhkälber wechseln nach 14 Tagen in den 2001 gebauten Kälberstall. Dort laufen ca. 60 Kälber in vier Gruppen. Zwei Gruppen mit jeweils 20 Tieren haben Zugang zu je zwei Boxen am Tränkeautomat. Dieser übernimmt die Milchversorgung.

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28 statt 14 Tage halten

Emken denkt oft über die Zukunft seiner Kälberhaltung nach. In den vergangenen 20 Jahren hat er laufend in den Betrieb investiert. Doch momentan fällt es ihm schwer, weitere Entscheidungen zu treffen, die auch langfristig Bestand haben. Denn bald soll für Kälber ein Transportverbot bis zum 28. Lebenstag gelten.

Diese Änderung der Tiertransportverordnung hat der Bundesrat auf einen Antrag aus Niedersachsen mit Blick auf das Tierwohl beschlossen (siehe top agrar 8/2021, Seite R6).

Bislang war der Transport nur bis zum 14. Lebenstag untersagt. Am 25. Juni 2021 hat der Bundesrat dieser Änderung zugestimmt. Sie war bislang aber noch nicht offiziell. „Die Verordnung liegt aktuell zur Notifizierung bei der Europäischen Kommission. Damit ist eine dreimonatige Stillhaltefrist verbunden, in der das Verfahren ruht“, bestätigt eine Sprecherin des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gegenüber top agrar. Am 30. November 2021 verkündete Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner dann die Änderung der Tierschutztransportverordnung. Diese ist auch im Bundesanzeiger zu finden. Die Übergangsfrist soll ein Jahr betragen, so dass Landwirte Anfang 2023 das neue Mindesttransportalter einhalten müssten. Mehr dazu lesen Sie HIER.

Doppelte Kosten

Besonders die männlichen Kälber stehen im Fokus. Die weiblichen Tiere verlassen nur selten unter 28 Lebenstagen den Geburtsbetrieb. Für Landwirte wie Frank Emken, die ihre Bullenkälber bisher mit 14 Tagen verkauft haben, entstehen nun deutlich höhere Aufzucht- und Haltungskosten.

Das bestätigt Josef Assheuer, Unternehmensberater der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (LWK NRW). „Jeder Aufzuchttag in der Tränkephase kostest rund 4,20 €/Tier. Die Mehrkosten für die doppelte Haltedauer liegen unterm Strich bei rund 60 € je Kalb.“ Frank Emken hat Bedenken, dass sich die höheren Kosten nicht mit dem Verkaufspreis decken lassen.

Gute Kälber immer gesucht

Anders sieht das Paul Berghuis, Kälberhändler aus Ibbenbüren in NRW. Er ist sich sicher, dass gute Kälber jederzeit gesucht sind – heute und auch in Zukunft. Das Heraufsetzen des Transportalters hält er ebenso für keine gute Idee: „Die Qualität und die Gesundheit der Kälber wird sich nicht unbedingt grundlegend verbessern. Denn Betriebe, deren Kälber mit 14 Tagen schlecht entwickelt sind, sind nach 28 Tagen noch schlechter entwickelt.“ Er vermutet, dass sich die Preisspanne zwischen guten und schlechten Tieren deutlich vergrößert.

Für mehr Wertschöpfung müssten Milcherzeuger und Kälbermäster enger zusammenarbeiten. Bislang lag ein Großteil der Kälberaufzucht beim Mäster. Durch das höhere Alter müssen sich künftig die Milchviehbetriebe intensiver mit der Aufzucht der Bullenkälber befassen, so Berghuis.

„Wenn die Geburtsbetriebe eine gute Basis schaffen und vitale Tiere anbieten, wird der Mäster in der Lage sein, mehr Geld zu bezahlen.“ Doch auch für Berghuis selbst steigen die Kosten für den Transport um 30 bis 40 % je Tier. Da die Kälber größer und schwerer sind, kann er seine Lkws nicht mehr dreistöckig, sondern nur noch doppelstöckig beladen. „Durch die höheren Lebendgewichte benötigen wir auch im Sammelstall 30 % mehr Platz und müssen anbauen. Die Mehrkosten muss dann der Markt bzw. der Konsument tragen“, sagt er.

Zwei Bullenkälber je Woche

Mehr Platz braucht nun auch Frank Emken, um die Kälber zu halten. „Grob gerechnet bekommen meine insgesamt 200 Kühe etwa 100 Bullenkälber pro Jahr bzw. zwei je Woche. Wenn ich diese Tiere zwei Wochen länger halten muss, brauche ich etwa fünf Einzelboxen zusätzlich“, sagt der Milcherzeuger.

Dirk Albers, Fachreferent für Rinderzucht und -haltung der LWK Niedersachsen ist sich sicher: „Jeder Betrieb muss investieren. Wie viel, hängt von den einzelbetrieblichen Gegebenheiten und vom Haltungssystem ab“. Er rechnet mit Kosten von einigen 1.000 €. Das belaste die Liquidität der Betriebe bei den rasant steigenden Produktionskosten zusätzlich.

„Es ist nicht damit getan, weitere Iglus zu kaufen.“ Sie müssen auf einem befestigten Untergrund stehen, der kontaminierte Flüssigkeiten auffängt. Zudem braucht es ein Dach als Witterungsschutz. Das alles ist baugenehmigungspflichtig. „Bei einer Übergangsfrist von einem Jahr dauert ein Genehmigungsverfahren zu lange“, ist sich der Experte sicher. Zudem würde auch der restliche Betrieb auf den Prüfstand gestellt – von der Siloplatte bis zum Güllebehälter. „Das kann schnell mal zwei Jahre dauern.“

Eine Alternative dazu wären frei stehende, isolierte Kälberboxen mit integrierter Auffangwanne. Diese sind genehmigungsfrei. „Es gibt sogar Modelle, wo sich die Trennwände zwischen den einzelnen Boxen herausnehmen lassen. Dann können die Kälber beispielsweise zu zweit laufen“, sagt Albers.

Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Verkaufspreise bei den Herstellern deutlich steigen können, da jetzt viele Landwirte in die Kälberhaltung investieren müssen. Zudem sind Baustoffe momentan knapp verfügbar und sehr teuer. Baufirmen sind ausgelastet. Bei einigen Betrieben könnte auch die BImSchG-Obergrenze Probleme bereiten. „Eine Übergangsfrist von drei Jahren wäre wesentlich realistischer“, sagt der Fachreferent.

Kälbergesundheit im Fokus

Mit dem Baugenehmigungsverfahren macht auch Emken gerade seine Erfahrungen. Der Landwirt will den 2001 gebauten Kälberstall erweitern. Laut seiner Architektin kann es zwei bis drei Jahre dauern, bis die Genehmigung durch ist. Der Landwirt hat nicht vor, mehr Kuhkälber zu halten. Er will ihnen mehr Platz bieten. „Ich möchte kleinere, aber dafür homogene Gruppen haben. Und vor allem den Krankheitsdruck verringern“, sagt Emken.

Eine bessere Kälbergesundheit ist auch ein Anlass für die geänderte Transportverordnung. Vorausgegangen war ein Positionspapier der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Demnach ist das Immunsystem von Kälbern frühestens nach vier Wochen belastbar. Durch die immunologische Lücke sei vorher kein ausreichender Schutz gegeben. Das ist jedoch nicht abschließend wissenschaftlich belegt und vermutlich wesentlich komplexer in der Beurteilung.

Tierärztin Dr. Melanie Eisert vom Rindergesundheitsdienst der LWK NRW weist darauf hin, dass Länge und Tiefpunkt der immunologischen Lücke betriebsindividuell sind und sich nicht auf einen speziellen Zeitraum festnageln lässt. „Sie hängt zum Beispiel stark von der Kolostrumversorgung nach der Geburt und den täglichen Zunahmen ab. Oft liegt der Tiefpunkt aber zwischen der vierten und sechsten Lebenswoche.“ Grundsätzlich sei die Tiergesundheit nach 28 Tagen aber mehr gefestigt und Kälber widerstandsfähiger. Daher ist das längere Transportverbot aus tierärztlicher Sicht empfohlen.

Dennoch kann Eisert verstehen, dass Landwirte verärgert sind. Die unzureichende Abstimmung mit der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, die vermutlich fehlende Entlohnung und die kurze Übergangsfrist bereiten auch ihr Sorgen. Die aktuelle Diskussion birgt aber auch Chancen: „Oft waren andere Baustellen auf den Betrieben wichtiger und die Jungviehaufzucht lief nebenbei. Die Landwirte müssen sich jetzt aktiv mit der Kälberhaltung auseinandersetzen.“ Sie appelliert, die Zeit im Winter zu nutzen, um Pläne zu schmieden und Anfang 2022 mit der Umsetzung zu beginnen. Von selbst gebauten Einzelboxen aus Holz hält die Expertin wenig: Sie müssen leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein.

Folgenabschätzung fehlt

Landwirte und Experten der Branche befassen sich intensiv mit den Folgen der Transportverordnung. Die Entscheidung des Bundesrates erfolgte ohne Anhörung der Betroffenen. Erst im Nachgang hat das BMEL das Thünen-Institut mit einer Folgenabschätzung beauftragt, um die entstehenden Kosten und eine realistische Übergangsfrist zu ermitteln.

Dazu äußerte sich Ludwig Börger vom Deutschen Bauernverband: „Die Folgenabschätzung dürfte bestätigen, welch hohe wirtschaftlichen Folgen der Bundesratsbeschluss hat. Sie muss deshalb zügig finalisiert werden, um dann als Basis für eine sachgerechte Korrektur der Verordnung dienen zu können.“ Allerdings will das niedersächsische Landesministerium nach der Verkündung einen Antrag stellen, um die Übergangsfrist von einem auf drei Jahre zu verlängern.

Kälberhändler Paul Berghuis resümiert: „Unser aller Erfolg hängt unter anderem davon ab, wie schnell und gut wir uns auf die neuen Entwicklungen und Erfordernisse einstellen.“

Kurz kommentiert

Mal wieder ein Beschluss über die Köpfe der Landwirte hinweg. Dabei sind sie diejenigen, die die Chose umsetzen müssen – am besten schon gestern. Doch um qualitative und langfristige Lösungen zu schaffen, braucht es Zeit. Und zwar mehr, als nur ein Jahr. Das werden hoffentlich auch die Entscheidungsträger merken, wenn sie sich im Nachhinein mit den Folgen befassen.



Eine längere Übergangsfrist wäre ein minimaler Kompromiss. Dann hätten die Milcherzeuger Zeit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen und auch tatsächlich einen Mehrwert für die Kälber zu schaffen. Dieser Mehrwert muss sich aber auch im Geldbeutel der Landwirte wiederfinden. Ansonsten ist langfristig nichts für die Kälber gewonnen.

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