Ein höheres Risiko für Atemwegsinfektionen, Durchfall und Tod: Das sind die Folgen, wenn Kälber nicht ausreichend mit Kolostrum versorgt werden. Eigentlich nichts Neues.
Trotzdem zeigen Studien immer wieder, dass 10 bis 50 % aller Kälber nicht ausreichend Erstgemelk erhalten, sagt Prof. Hans-Joachim Schuberth von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und erklärt: „Die Vorteile einer optimalen Kolostrumgabe sind nicht direkt erkennbar. Wenn die Tiere einige Wochen später erkranken oder geringe Leistungen zeigen, wird das nicht auf die mangelhafte Versorgung zurückgeführt.“
Die erste Milchtränke ist entscheidend für die Kälbergesundheit und den Erfolg des Betriebes. Doch was zeichnet ein gutes Biestmilch-Management aus?
Kolostrum-Grundsätze
Etwa 75 % der Eiweiße im Erstgemelk sind Immunglobuline (Ig), also Antikörper, die Viren oder Bakterien unschädlich machen. Für die Entwicklung des Immunsystems ist der passive Transport der Antikörper und weiteren bioaktiven Stoffen durch die Darmwand des Kalbes nötig.
Das ist nur wenige Stunden nach der Geburt möglich. Nach etwa zwölf bis 24 Stunden verschließt sich die Darmschranke. Die allgemeine Empfehlung, wie z. B. im DLG Merkblatt 375, lautet daher: mindestens 3 l Kolostrum innerhalb der ersten drei Lebensstunden. „Bei großen Kälbern darf es mehr sein. Als Orientierung gilt: mindestens 10 % des Körpergewichtes an qualitativem Kolostrum“, so Prof. Schuberth.
Die Qualität der Biestmilch bestimmt unter anderem der Ig-Gehalt, der sich mit verschiedenen Messgeräten ermitteln lässt. In der Praxis haben sich Refraktometer bewährt, welche die optische Dichte einer Flüssigkeit messen. Die Maßeinheit ist Brix in Prozent.
„Der Brix-Wert korreliert mit dem Antikörpergehalt. Das ist gut geeignet, um im Stall eine schnelle Info zu bekommen“, so Schuberth. Gutes Kolostrum hat einen Wert von mindestens 25 %. Das entspricht etwa 50 mg Ig/ml Milch. Kolostrum mit weniger als 19 % Brix ist ungeeignet.
Zu wenig Antikörper, und nun?
Doch was ist zu tun, wenn das Erstgemelk zu wenig Antikörper enthält? Grundsätzlich kommt es auf die insgesamt verabreichte Antikörpermenge an. Bei geringerer Ig-Konzentration lässt sich das zum Teil über eine höhere Tränkemenge ausgleichen.
Außerdem erklärt Prof. Schuberth: „Wenn vorhanden, sollte man von einer anderen Kuh frisches Kolostrum vertränken oder es damit vermischen.“ Das Erstgemelk von Mehrkalbskühen hat tendenziell höhere Ig-Gehalte. Aber eine Garantie gebe es nicht. Einen Hinweis liefert der Brix-Wert.
Eingefrorenes nur im Notfall
Kolostrum, das eingefroren war und zum Tränken aufgetaut wird, ist für den Wissenschaftler nur eine Notlösung: „Kolostrum ist mehr als nur Antikörper. Das Erstgemelk enthält auch lebende Immunzellen und bioaktive Stoffe, die für das Immunsystem ebenso wichtig sind.“
Durch das Einfrieren und Auftauen, egal wie schonend, platzen die Zellen und sind inaktiviert. Ähnlich gelte das auch für Kolostrum-Ersatz in Pulverform. Kurzfristig erhalte das Kalb zwar die nötigen Nährstoffe und Antikörper. „Doch Studien zeigen, dass diese Kälber nicht so effizient auf Impfungen reagieren oder häufiger erkranken“, sagt Schuberth.
Zu einem guten Kolostrum-Management zählt für den Immunologen außerdem nicht nur die erste Tränke. Auch die folgenden Mahlzeiten haben laut Studien einen Einfluss auf das Immunsystem: „Bevor man auf normale Vollmilch oder Milchaustauschertränke wechselt, sollten die Kälber mindestens zwei bis drei Mahlzeiten der Transitmilch aufnehmen.“
Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass Kälber, die ausreichend und hochwertiges Kolostrum erhalten haben, vitaler sind und mehr Leistung bringen – auch als ausgewachsenes Milch- oder Mastrind.