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Pflanzenzüchtung mittels CRISPR/Cas: Wie funktioniert die Genschere?

Wie sieht eine „Genschere“ aus? Was genau tut sie – und wie funktioniert die Methode namens CRISPR/Cas? In einem Saatzuchtlabor bei Leopoldshöhe haben wir jemanden gefunden, der es uns erklärt hat.

Lesezeit: 11 Minuten

Dieser Beitrag erschien im September 2021 zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.

Die EU-Kommission plant, gentechnisch veränderte Pflanzen, die durch neue Methoden der Gentechnik (NGT) wie CRISPR/Cas gezüchtet wurden, unter bestimmten Bedingungen aus der strengen Regulierung herauszunehmen. Der Vorschlag soll morgen, am 5. Juli, vorgestellt werden. Doch wie funktioniert die sogenannte Genschere?

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Von der Decke grummelt der Ventilator. Weißgelbes Neon­licht füllt den fensterlosen Raum und spiegelt sich in Weckgläsern und durchsichtigen Plastikdosen. Sie stehen, verschlossen und gestapelt, in Metallregalen. In den Gläsern und Dosen, etwa fingerhoch mit einer gallertartigen Masse gefüllt, sprießen Keime. Hier und da lugen grüne Blättchen aus der Gallertmasse.

Das Ganze ist keine Szene aus „Star Wars“ und auch kein Einblick in die Internationale Raumstation. Denn wir sind in Hovedissen bei Leopoldshöhe, im zweiten Obergeschoss eines Wirtschaftsgebäudes auf einem altehrwürdigen Gutshof. „W. v. Borries-Eckendorf“ steht an der Wand zu lesen, eine Schrift aus alten Tagen. Hier ist heute das mittelständische Pflanzenzucht- und Forschungsunternehmen „SU Biotec“ zu Hause.

Jon Falk, der Geschäftsführer von SU Biotec, greift in das Lagerregal und fingert eine Petrischale hervor. Darin sind junge Rapsblätter zu erkennen. „Diese Pflanzen haben wir mit CRISPR/Cas verändert“, sagt er. Allerdings, das stellt Falk gleich klar, handele es sich um eines der wenigen wissenschaftlichen Forschungsprojekte, die derzeit auslaufen. Denn der Einsatz der CRISPR/Cas-Methode ist derzeit in der EU nur unter hohen Auflagen, etwa zum Einsatz in der wissenschaftlichen Forschung, möglich.

Codes geben Rätsel auf

Über 1 Mio. € habe das mittelständische Forschungslabor in Hovedissen seit etwa 2014/15 investiert, um die Palette seiner biotechno­logischen Züchtungsverfahren um die CRISPR/Cas-Methode zu erweitern. „Billig ist sie nicht“, rückt Falk gleich ein Vorurteil zurecht. Ein weiteres stellt er auch sofort gerade: „Wir sind kein globaler Chemiegigant und kein ,multinatio­naler Agrokonzern‘, wie es beim Thema CRISPR/Cas schnell heißt, sondern: Wir sind eine Allianz kleiner mittelständischer Züchter.“

SU Biotec: Infos zum Unternehmen

Gut Eckendorf in Hovedissen bei Leopoldshöhe ist Hauptsitz des mittelständischen Biotechnologie- und Saatzuchtunternehmens „SU Biotec“ mit rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seit 2006 verfügt es über eine zweite Labor- und Forschungsstätte in Gatersleben bei Quedlinburg. Das Kürzel „SU“ im Namen steht für „Saaten-Union“ aus sieben Gründungsgesellschaftern, die sich 1984 zum Aufbau des gemeinsam betriebenen Labors in Hovedissen entschlossen haben. Später kamen als weitere Gesellschafter die Deutsche Saatveredelung AG und die Solana Research GmbH hinzu.

In den Laboren wird einerseits Grundlagenforschung betrieben, teilweise in Kooperation mit Universitäten, andererseits angewandte Forschung und praktische Züchtung in den Gewächshäusern sowie auf den Feldern rund um das Gut.

Aber was ist das nun: CRISPR/Cas? Was genau passiert da in Leopoldshöhe und in den vielen anderen Forschungslaboren in Deutschland, Europa und der Welt?

Wird die Methode beschrieben, sind Begriffe wie „Genschere“ oder „molekulares Skalpell“ nicht weit. Doch das sind Umschreibungen, sind Bilder für hochkomplexe molekularbiologische Vorgänge. Sie lassen sich nicht einfach „zeigen“, wie sich die Funktionsweise eines Mikro­skops, einer Kaffeemaschine oder eines Mähdreschers zeigen lässt.

Wer also in Leopoldshöhe durch die Labore und Büroräume geht, bekommt keine Genscheren zu sehen, sondern wenig Spektakuläres: Mikroskope, Petrischalen, Pipetten, digitale Analysegeräte jeder Art und Größe, viele Computerbildschirme natürlich – und eben jene neonausgeleuchteten Kulturräume, in denen Pflanzen in Nährstoffgel keimen und heranwachsen.

Niemand kann von außen erkennen, welche dieser Pflanzen per CRISPR/Cas gezüchtet worden ist. Er muss da schon die Codes aus Buchstaben, Strichen und Zahlenreihen entziffern können, mit denen die Deckel der Döschen und Gläser von Hand beschriftet sind.

Motor der Evolution

Wie aber funktioniert nun die Methode, deren Entdeckerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna im vergangenen Herbst 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden sind? Und was verspricht sich ein Pflanzenzüchter im Lippischen wie Jon Falk vom Verfahren? Doch zuvor einen Schritt zurück: Wie war das noch im Biologieunterricht?

Alle biologischen Eigenschaften von Lebewesen – ob Pflanze, Tier oder Mensch – sind in der DNA im Zellkern eines Lebewesens verschlüsselt. Die genetischen Eigenschaften liegen keineswegs fest. Vielmehr unterliegen sie stetem Wandel und ständigen Neukombinationen. „Variation in Form von Mutationen und Selektion ist das Grundprinzip der Natur, es ist der treibende Motor der Evolution“, unterstreicht Falk. Der Wandel, die Neukombination der Gene geschieht bei jeder Fortpflanzung. In der Welt der Nutzpflanzen wird dieses Prinzip seit etwa 150 Jahren durch die klassische Form der Kreuzung zweier Arten und die anschließende Auswahl (Selektion) der jeweils erwünschten Eigenschaften gezielt genutzt.

WETTRENNEN DER MUTATION

„Pflanzenmutationen kommen auf jedem Gerstenfeld täglich auf natürliche Weise zustande“, sagt Jon Falk. Sie können etwa durch Strahlung ausgelöst werden: durch die natürliche UV-Strahlung der Sonne beispielsweise oder auch durch ebenso natürlich auftretende radioaktive Strahlung. „Forscher haben das vor Jahrzehnten intensiv und gezielt eingesetzt“, berichtet Falk. Durch atomare Bestrahlung sei beispiels­weise die pilzresistente Mutante einer Pfefferminzpflanze entstanden – sie hat sich bis heute weltweit fast vollständig durchgesetzt.

Als anderes Beispiel nennt Falk die Kurzstroh-Gerstensorte „Diamant“, deren Mutation durch Röntgenstrahlen 1965 in der Tschecho­slowakei ausgelöst worden ist. „Die beiden damals entscheidend veränderten Gene finden sich ­heute in nahezu allen Gerstenpflanzen, die in Europa gedeihen – egal ob ökologisch oder konventionell angebaut.“

Ein drittes Beispiel aus der Züchtungsforschung: Grapefruit der Sorte „Ruby Red“ bzw. „Star Ruby“ mit rotem Fruchtfleisch ist ebenfalls durch Mutation nach radioaktiver Bestrahlung entstanden. Aber wer weiß das schon, außer ein paar Wissenschafts-Nerds und interessierte Pflanzenzüchter? „,Durch atomare Strahlung genetisch verändert‘: das sagt Ihnen in der Regel niemand, wenn diese Frucht im Supermarkt, in Reformkost- oder Bio­läden zum Verkauf angeboten wird“, sagt Jon Falk.

Der Trick des Bakteriums

Mutationen in lebenden Organismen können durch Strahlung, aber etwa auch durch Viren angeregt werden. Greifen die Krankheitserreger Zellen an, bringen sie sie dazu, Gene neu miteinander zu verbinden, um Antikörper zu bilden. Genau dieses Prinzip ist ein wesentlicher Bestandteil der CRISPR/Cas-Methode. Wird ein Bakterium von einem Virus angegriffen, wehrt es sich, indem es die Virus-DNA erkennt und deren individuelles Muster, von Forschern auch „DNA-Sequenz“ genannt, in einem komplexen biochemischen Prozess speichert. Es kopiert die Sequenz und „merkt“ sie sich – oder besser: Das Bakterium speichert sie im eigenen Erbgut, in den sogenannten „CRISPR“. Greift erneut ein Virus mit diesem Muster an, erkennt das Bakterium dessen DNA-Muster und zerschneidet es. Abwehr gelungen!

Die beiden Molekularbiologinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Dourda haben vor gut zehn Jahren entdeckt, dass sich dieser natürliche Abwehrmechanismus nicht nur mit Virus-Sequenzen verbinden lässt, sondern mit jeder DNA-Sequenz. Damit verknüpft wird das bakterielle Abwehrsystem plötzlich zu dem, was gemeinhin „Schere“ genannt wird: Es begibt sich auf die Suche nach einer identischen DNA-Sequenz und trennt den aufgespürten Erbgutstrang exakt an dieser Stelle.

Entscheidend ist, was nun passiert. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten:

  • Die Zelle kann den DNA-Schnitt auf natürliche Weise wieder verbinden und reparieren. In wenigen Fällen gelingt die Reparatur nicht vollständig und es entsteht eine Mutation. Die an diesen Stellen entstehenden Mutationen sind für die Pflanzenzüchter interessant.
  • Der Zelle kann an der Schnittstelle ein künstliches DNA-Stück eingefügt werden, das aus demselben Organismus stammt, sich aber in seinen molekularen Bestandteilen von der vorher vorhandenen Sequenz unterscheidet. So können gezielt Mutationen eingefügt werden.
  • Ihr kann an der Schnittstelle ­eine Sequenz fremder DNA eingefügt werden, also aus einem anderen Organismus stammend.

Diese dritte Variante, daran herrscht in der Wissenschaft kein Zweifel, ist eindeutig gentechnisch verändert. Sie lässt neue „transgene“ Pflanzen entstehen, die in der freien Natur niemals entstanden wären. Aber wie ist es bei den ersten beiden Varianten?

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel­sicherheit (BVL) hat sie als „Punktmutationen“ bezeichnet, „die auch natürlicherweise durch Kreuzung und/oder natürliche Rekombination entstehen können“.

Woher aber kennen die Molekularbiologen genau die Stelle, an der sie beabsichtigen, die Genschere anzusetzen, um ­eine solche „Punktmutation“ auszulösen? – „Aufgrund der vorhe­rigen DNA-Sequenzierung“, antwortet Jon Falk. „Wir kennen die Struktur der Gene und Proteine, und wir erkennen die jeweiligen Abfolgen. Durch Vergleich und durch Marker können wir exakt einkreisen, welchen Abschnitt eines Gens wir erreichen wollen.“

„Ein genauer Eingriff“

Das ist das eigentlich Neue: Nach allen bisherigen Methoden – ob nun Kreuzung, radioaktive Bestrahlung oder Einsatz von chemischen Substanzen – war es allein dem Zufall überlassen, an welcher Stelle eine Mutation ausgelöst und das Erbgut tatsächlich verändert wurde. „Nicht so bei CRISPR/Cas“, erklärt Jon Falk. „Mit dieser Methode können wir genau an der Stelle eingreifen und das Erbgut verändern, wo es sein soll.“

Sie, auch darin sind sich die Wissenschaften einig, erlaubt eine extrem genaue und exakte, aber auf den einen Organismus begrenzte Mutation, wie sie auch in der ­Natur möglich wäre.

Und wozu das Ganze? Die Antwort des ostwestfälischen Pflanzenzüchters lautet so: „Wir brauchen zurzeit mindestens etwa 10 bis 15 Jahre, bis eine neue Getreidesorte zugelassen ist. Bei Kartoffeln kann es noch länger dauern, um etwa eine Krankheitsresistenz einzukreuzen. Wir müssen also heute schon wissen, was einen Landwirt in 10, 15 Jahren bewegt und was er dann benötigt. Schon jetzt wissen wir, dass Getreidesorten wichtig werden, deren Anbau den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln möglichst minimiert. Und stressstabiler gegenüber dem Klimawandel sollen sie auch sein.“

Das Zuchtziel liege nicht mehr im Höchstertrag, sondern in boden­angepassten Erträgen mit guter, gleichmäßiger Qualität. Der Einsatz von CRISPR/Cas erlaube ein erheblich schnelleres und vor allem: ein gezielteres Ergebnis, ist der Züchter überzeugt. Auch kann er sich vorstellen, mit CRISPR/Cas Kartoffeln zu züchten, die resistent gegen Krautfäule sind. Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel im konventionellen Landbau oder von Kupferprä­paraten im biologischen Landbau könne dann entfallen.

DIE ARGUMENTE DER GEGNER

Ob „alte“-Gentechnik oder neue CRISPR/Cas-Methode: Ökologische Anbauverbände wie Bioland, Neuland oder Demeter lehnen beides gleichermaßen und prinzipiell ab. „Gentechnik ist Gentechnik“, argumentieren sie und drängen ­darauf, dass in Deutschland und der EU ­alle vorhandenen und auch künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden Organismen „weiterhin unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht zu regulieren und zu kennzeichnen sind“.

Ihr Kernargument: „Neue Gentechniken wie CRISPR/Cas können tief in das Erbgut lebender Organismen eingreifen und dieses grundlegend verändern. Auch die Geschwindigkeit, mit der sich Mutationen erzeugen lassen, erhöht das Risiko­potenzial von CRISPR/Cas und ­anderen neuen Verfahren. Die grundsätzlichen Probleme der Gentechnik wie Auskreuzung, Konta­mination und Nicht-Rück­holbarkeit bestehen bei der neuen Gentechnik weiter.“

Überhaupt seien die Versprechungen falsch. So trügen genmani­pulierte Pflanzen nicht zur Klimaanpassung bei. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lehne ohnehin „Gentechnik auf ihrem Teller und auf dem Acker“ ab. Gemäß dem Vorsorgeprinzip seien Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit zu ergreifen.

Jon Falk weist auf ein anderes Vorzeigeprojekt, das der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter im September 2020 im Verbund mit 54 Unternehmen gestartet hat. Das Ziel: Es soll eine Brotweizensorte mit einer besonders hohen und dauerhaften Pilztoleranz gezüchtet werden. Mit CRISPR/Cas sollen ausschließlich eigene, einzelne Gene des Weizens gezielt bearbeitet werden, dass die Pflanze eine breite Toleranz gegen Braunrost, Gelbrost, Septoria und Fusarium aufbaut. Das, so die Zielbeschreibung, könne den Einsatz von Fungiziden drastisch beschränken und die Betriebskosten des Landwirts verringern, könne also am Ende ­sowohl ökologische wie ökono­mische Vorteile aufweisen.

Im globalen Wettbewerb

Klappt das Vorzeigeprojekt, dürfte es ein weiteres Mal die Grundsatzfrage aufwerfen, die in den Labors, vor allem aber in der Gesellschaft diskutiert und am Ende in den Parlamenten entschieden werden muss: Ist der Einsatz von Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas gewollt oder nicht? Und wenn nein: Warum nicht?

„Die Frage“, so formulierte es kürzlich der Wissenschaftsredakteur Andreas Sentker („Die Zeit“), „zielt mitten in einen globalen Wettbewerb, in dem sich deutsche und europäische Züchter auf Dauer benachteiligt sehen. Denn anderswo gelten die neuen, präzisen Verfahren gar nicht mehr als Gentechnik, wenn ihre Produkte auch auf natürlichem Wege hätten entstehen können. Die EU aber reguliert die Technik weiterhin streng, was einem weitreichenden Vermarktungsverbot gleichkommt.“

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