Durch das regnerische Wetter geraten viele Landwirte durch Vorkontrakte bezüglich der Qualitäten und Mengen in Bedrängnis. Denn Vorkontrakte müssen Sie in der Regel erfüllen, auch wenn das mit einem Zukauf verbunden ist. Ein Interview mit dem Rechtsanwalt und Fachanwalt für Agrarrecht, Götz Gärtner, aus Quedlinburg.
top agrar:Durch den Regen und die damit verbundenen schlechten Qualitäten und Mindermengen können Landwirte ihre Vorkontrakte nicht erfüllen. Wie sollten Landwirte jetzt reagieren?
Gärtner: Prüfen Sie Ihre Ernteerträge, lassen Sie die Qualitäten untersuchen und teilen Sie das Ergebnis dem Käufer möglichst sofort schriftlich mit.
In den allermeisten Getreideverträgen sind die Einheitsbedingungen im Deutschen Getreidehandel (EHG) als Geschäftsbedingungen vereinbart. Kann man sich auf höhere Gewalt nach § 20 Abs.1 EHG berufen, wenn man die vereinbarten Qualitäten aufgrund des Wetters nicht liefern kann?
Gärtner:In § 20 Abs. 1 EHG ist vorgesehen, dass bei unverschuldeter Unmöglichkeit und/oder höhere Gewalt der Verkäufer von seiner Vertragspflicht frei wird und in der Regel auch keinen Schadensersatz an den Käufer leisten muss. Das wäre also der Idealfall.
Der Landwirt muss ein Getreide liefern, dass die vereinbarten Bedingungen erfüllt – auch wenn er es selbst erst zukaufen muss.
Liegt denn angesichts des Wetters dieses Jahr „Unmöglichkeit“ oder „höhere Gewalt“ vor?
Gärtner: Davon ist nicht auszugehen. Denn unmöglich ist die Lieferung z.B. nur dann, wenn sich der Landwirt zur Lieferung eines bestimmten Getreides von einer bestimmte Fläche verpflichtet hat (beschränkte Gattungsschuld). Das ist in der Regel nicht der Fall, sondern der Landwirt ist meist eine Gattungsschuld eingegangen, das heißt, er muss ein Getreide liefern, dass die vereinbarten Bedingungen erfüllt – auch wenn er es selbst erst zukaufen muss.
Die Hoffnung, dass Wetterkatastrophen als „höhere Gewalt“ gelten, und damit die Lieferpflicht entfällt, hat sich oft als Irrtum herausgestellt. Nach der allgemeinen Rechtsprechung hierzu fallen unter die „höhere Gewalt“ solche Ereignisse, die nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar sind, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln und Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden können und auch nicht wegen ihrer Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen sind. Davon ist in diesem Jahr aus meiner Sicht nicht auszugehen, z.B. weil es bereits ähnliche Wetterereignisse in der näheren Vergangenheit gab, und extreme Wetterlagen aufgrund des Klimawandels nicht zuletzt in den Medien als immer wahrscheinlicher angesehen werden.
Was als „höhere Gewalt“ gilt, ist aber auch für Juristen schwer einzuschätzen. Das liegt vor allem daran, dass die Rechtsprechung durch „ordentliche“ Gerichte hinsichtlich höherer Gewalt im Fall von Getreidekontrakten fehlt. Über Streitfälle bei Geltung der Einheitsbedingungen entscheiden Schiedsgerichte des Handels. Diese Schiedsgerichte sind überwiegend mit Handelsvertretern besetzt und Entscheidungen werden nicht veröffentlicht. Die Folge: Entscheidungen, an denen man sich orientieren könnte, sind mehr als rar.
Wie sollten betroffene Landwirte reagieren?
Gärtner: Halten Sie Kontakt zum Händler: Reagieren Sie sofort, wenn z.B. ein Fax, ein Schreiben oder eine Mail eintrifft und Sie nicht einverstanden sind. Ist abzusehen, dass z.B. Regen zu Lieferschwierigkeiten führt, teilen Sie das umgehend schriftlich/per Mail mit. Oftmals kann sich ein Vergleichsschluss anbieten: Beide Seiten kommen sich dabei entgegen und machen Zugeständnisse.
Was kann man künftig besser machen?
Gärtner: Als Landwirt sollten Sie bedenken: Ist ein Vorkontrakt unterschrieben, gibt es bei ordnungsgemäßer Erfüllung durch den Handel und ohne unvorhersehbare Fälle von höherer Gewalt keine Ausstiegsklausel. Wer unterschrieben hat, muss entweder voll erfüllen oder Schadenersatz leisten. Einen aus Sicht der Landwirte optimalen Vorkontrakt gibt es nur ohne die EHB, auf die der Handel aber meist nicht verzichten wird.
Etwas helfen könnte es, wenn Sie künftig vereinbaren, dass Sie nur selbsterzeugte Produkte liefern müssen (beschränkte Gattungsschuld). Vielleicht lässt sich der Händler auch auf ein konkretes „elementares Ereignis“ ein, das Sie im Notfall von der Lieferpflicht freistellt. Das ist Verhandlungssache. Bei der Qualität sollten Sie ebenfalls festlegen, was bei Abweichungen passiert: Und zwar nach unten und nach oben!
Damit Juristen einschätzen können, welche Wetterextreme als „höhere Gewalt“ gelten, müssen mehr Entscheidungen „normaler“ Gerichte her. Das lässt sich erreichen, wenn Sie die Schiedsgerichtsvereinbarung nach §1 der EHB streichen. Zwar beteuert der Handel, dass Landwirte vor dem Schiedsgericht keinen Rechtsverlust erleiden. Trotzdem sind Ort und Umgebung dem Handel näher als dem Landwirt und auch die Kosten keinesfalls stets geringer als bei anderen Gerichten.