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Die Zukunft der Landwirtschaft: NRW-Agrarministerin Silke Gorißen im Interview

Für Land- und Forstwirte sowie Verbraucher sind es turbulente Zeiten – und mittendrin hat Silke Gorißen ihr Amt übernommen. Wie will die NRW-Agrarministerin für Stabilität sorgen?

Lesezeit: 10 Minuten

Dieses Interview ist zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben erschienen.

Frau Gorißen, letztes Jahr hat Ministerpräsident Hendrik Wüst Sie von der Landrätin in Kleve zur Agrar­ministerin in NRW gemacht. Würden Sie heute immer noch „Ja“ sagen?

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Gorißen: Ja, sofort.



Warum?

Gorißen: Weil ich wichtige Themen für die Menschen in Nordrhein-West­falen politisch gestalten darf – die Landwirtschaft, den Wald, die Ernährung und den Verbraucherschutz. Es geht um grundlegende Fragen unseres Alltags und der Zukunft, gerade mit Blick auf Klimaschutz und Ernährungssicherung. Das ist eine große Ehre für mich.

Wenn Sie selbst Bilanz ziehen: Ihr größter Erfolg bisher?

Gorißen: Für die Landwirtschaft haben wir unsere Stimme immer dann lautstark erhoben, wenn Vorschläge aus Berlin und Brüssel kamen, die wir für nicht praktikabel halten. Unser Haus steht für mehr Tierwohl und Umweltschutz, aber immer mit Praxis­bezug und im Austausch mit den Landwirten. Das haben wir von Beginn an klargemacht. Beim Waldumbau kommen wir insgesamt gut voran. Und die Verbraucher konnten wir bei der Energiekrise und gesunder Ernährung unterstützen.

Unser Haus steht für mehr Tierwohl und Umweltschutz, aber immer mit Praxis­bezug und im Austausch mit den Landwirten.

Und Ihre größte Enttäuschung?

Gorißen:Von Enttäuschungen würde ich nicht sprechen. Bei einigen ­Themen sind wir noch nicht am Ziel, haben aber Zwischenschritte erreicht. Beispielsweise beim Tierhaltungskennzeichengesetz oder der Wiederbewaldung der von den Borkenkäfern zerstörten Flächen.

Auf beide Punkte gehen wir noch ein. Bleiben wir zunächst beim Koalitionsvertrag. Noch in diesem Jahr soll ein NRW-Klimaschutzgesetz kommen. Worauf müssen sich Land- und Forstwirte einstellen?

Gorißen: Wir rechnen nicht mit Verschärfungen. Vielmehr können mit dem Klimaschutzgesetz Chancen entstehen. Wir werden Windenergieanlagen auf Kalamitätsflächen im Wald ermöglichen und den Ausbau von Photovoltaik auf versiegelten Flächen sowie Dächern vorantreiben. Freiflächen-Photovoltaikanlagen sehen wir nur auf wenigen Standorten, um die Flächenkonkurrenz nicht weiter zu verschärfen.

Zumal NRW das Ziel von maximal 5 ha Flächenverlust pro Tag wieder einhalten will. Wie soll das diesmal gelingen?

Gorißen:Es muss gelingen! Selbst 5 ha pro Tag sind noch viel. Unsere hochwertigen landwirtschaftlichen Flächen müssen erhalten bleiben. Oft sind es europaweit beste Böden! Landwirtschaft ist einem enormen Konkurrenzdruck ausgesetzt, durch Gewerbe, Wohnbau und Industrie. Gut, dass mit dem Reviervertrag 2.0 im Rheinischen Revier die grundlegend bestehenden Verpflichtungen zur Rückgabe rekultivierter landwirtschaftlicher Flächen gewahrt bleiben. Zukünftige Generationen müssen die Chance haben, die sehr fruchtbaren Böden zur Sicherung der regionalen Versorgung zu bewirtschaften.

Im Koalitionsvertrag hat sich Schwarz-Grün auf die Gründung einer Landgesellschaft verständigt. Könnte sie sich darum kümmern und wann kommt sie?

Gorißen: Wir müssen den Druck von den landwirtschaftlichen Flächen nehmen und den Flächenverlust stoppen. Dazu müssen viele Fragen geklärt werden, organisatorisch, rechtlich und finanziell. Das tun wir, aber das braucht Zeit.

Die Landesregierung will einen zweiten Nationalpark – wann und wo soll er kommen?

Gorißen: Das steht noch nicht fest. Der Start für einen landesweiten Findungsprozess, bei dem sich Regionen für einen Nationalpark beteiligen und bewerben können, ist nach den Sommerferien geplant. Die Federführung hat das Umweltministerium. Mir persönlich ist wichtig, dass es die Region auch möchte und der Nationalpark breit in der Region getragen wird. Wir müssen auch diejenigen ernst nehmen, die Nach­teile befürchten.

Im ersten Jahr der neuen Agrar­prämien haben Landwirte die Öko-Regelungen wenig genutzt, auch in NRW. Was muss sich ändern, damit sie attraktiver sind?

Gorißen: Als Erfolg für Nordrhein-Westfalen verbuchen wir, dass die Landwirte die Öko-Regelungen „Vielfältige Fruchtfolge“ sowie „Grünland – vier Kenn­arten“ sehr gut angenommen haben. Richtig ist aber, dass die Öko-Regelungen insgesamt attraktiver werden müssen. Das soll 2024 durch höhere Prämien und weniger Verwaltungsaufwand gelingen. 2025 könnte es dann auch eine weitere Öko-Regelung für Grünland geben. Die Herausforderung ist hier, dass es in vielen Bundesländern Überlappungen zu Maßnahmen in der Zweiten Säule gibt. Das muss noch austariert werden.

Perspektiven der Tierhaltung

Schweinehalter dürfen sich zwar gerade über Rekord­erlöse freuen, trotzdem gaben innerhalb eines Jahres rund 10 % der NRW-Betriebe auf. Wie wollen Sie das stoppen?

Gorißen: Das ist kein Strukturwandel, sondern ein Strukturbruch. Das liegt vor allem an der seit Jahren fehlenden Planungssicherheit. Das frustriert Betriebsleiter, selbst bei den aktuell hohen Preisen. Doch der Bund nimmt das so nicht wahr.

Haben Sie deshalb noch ­einen Entschließungsantrag initiiert, als der Bundesrat über das Tierhaltungskennzeichengesetz abgestimmt hat?

Gorißen: Ja. Nordrhein-Westfalen ist für den Umbau der Nutztierhaltung, um unsere Landwirtschaft nachhaltiger aufzustellen. Das gegenwärtige Konzept des Bundes ist einfach nicht rund. Die Kennzeichnung bezieht sich nur auf frisches Schweinefleisch. Sauen und Ferkel, verarbeitete Waren und der Außer-Haus-Verzehr fehlen. Zudem sind bei der Förderung viele größere konventionelle Betriebe ausgeschlossen – also genau die Betriebe, die aktuell die Versorgung sichern. Ohnehin ist die bereitgestellte 1 Mrd. € viel zu wenig und die Kriterien wenig praktikabel. Mir erschließt sich nicht, wie der Umbau so gelingen soll. Daher fordern wir eine umfassendere Tierhaltungskennzeichnung und eine Förderung, die in der Praxis ankommt.

Ist denn mit Blick auf die aktuelle Haushaltsdebatte ein dauerhafter finanzieller Ausgleich durch den Staatshaushalt für den Umbau der Tierhaltung überhaupt noch realistisch?

Gorißen: Dazu nehme ich aktuell auf der Bundesebene keine Signale wahr. Ohne ausreichende Förderzeiträume, praktikable Förderkriterien und eine auskömmliche Förderhöhe fehlt die notwendige Planungssicherheit und damit Anreize für unsere Nutztierhalter, den Um- und Neubau von Ställen anzugehen. Daher meine Zusage: Wir als Nordrhein-Westfalen sind gerne zur Stelle, um auf Bundesebene an einem tragfähigen Konzept mitzuarbeiten. Länder- und partei­übergreifend.

Wir als Nordrhein-Westfalen sind gerne zur Stelle, um auf Bundesebene an einem tragfähigen Konzept mitzuarbeiten. Länder- und partei­übergreifend.





Die Milcherzeuger hatten im vergangenen Jahr Rekordpreise, nun rauschen die Preise runter. Einzelne Gruppen fordern staatliche Eingriffe in den Milchmarkt. Unterstützen Sie das?

Gorißen: Wir nehmen die Sorgen der Milcherzeuger ernst. Und wir versuchen hier in Nordrhein-Westfalen, über die Förderung von Investitionen auf den Be­trieben oder auch die Sommerweideprämie Milcherzeuger zu unterstützen. Wir unterstützen auch die Aktivitäten der Branche, selbst Regelungen zu schaffen, um besser mit Preisschwankungen umzugehen. Eine direkte Einflussmöglichkeit auf aktuelle Auszahlungspreise der Molkereien hat die Politik natürlich nicht.



Die EU-Kommission will die Industrie-Emissionsrichtlinie auf die Rinderhaltung ausweiten. Rinderhalter verstehen die Welt nicht mehr, weil sie womöglich bei offenen Ställen Abluft­filter einbauen müssten. Wie positioniert sich NRW?

Gorißen: Wir sind da ganz klar auf der Seite des Europaparlaments und unterstützen den aktuellen Beschluss: Die Rinderhaltung hat in der Industrie-Emissionsrichtlinie nichts zu suchen. Und die Bestandsgrenzen dürfen auch für Schweine sowie Geflügel nicht sinken.



Rindermäster treibt das geplante Mercosur-Abkommen um. Sie ­fürchten ein großes Rindfleischangebot. „Opfert“ die EU die heimische Land­wirtschaft?

Gorißen: Ich sehe Mercosur für die Landwirtschaft auch kritisch. Wir sollten die Tiere hier erzeugen, schlachten und verarbeiten – und nicht Fleisch importieren, ohne zu wissen, wie die Produktionsbedingungen waren. Ich teile die Bedenken des Deutschen Bauernverbandes.

Umgang mit dem Wolf

Weide ist gewünscht und wird vom Land gefördert. Doch Weidetierhalter fürchten das Aus, weil der Wolf sich ausbreitet. Nicht jeder kann und will seine Weide verbarrikadieren, zumal das auch massive Einschränkungen für Wildtiere und Touristen hat. Wie wollen Sie den Zielkonflikt lösen?

Gorißen: Wir brauchen viel gute Kommunikation untereinander und einen engen Dialog zwischen allen Beteiligten. Beim Thema Wolf sind verschiedene Schutzgüter und Interessen in Einklang zu bringen. Auch das Weidetier steht unter besonderem Schutz. Das Land Nordrhein-Westfalen setzt sich weiter für ein Wolfsmanagement ein, das es ermöglicht, regional flexibel zu agieren. Wir sprechen uns für praxisgerechtere Lösungen aus. Vor diesem Hintergrund wird gegenwärtig die Wolfsverordnung geprüft.

Niedersachsen hat das Budget für Herdenschutz auf 6,7 Mio. € verdoppelt. Wie viel Geld stellt NRW bereit?

Gorißen: Im Naturschutzetat des Umweltministeriums stehen 2023 ausreichend Mittel zur Ver­fügung. Die Landwirtschaftskammer NRW hat in diesem Jahr bisher Förderungen für Herdenschutzmaßnahmen über rund 375 .000 € bewilligt, davon rund 35.000 € für Pferde­haltungen. Darüber hinaus wurden Entschädigungen für wolfsbedingte Schäden von rund 5.000 € genehmigt.

Wir haben den Bund im Zuge der Agrarministerkonferenz dazu aufgefordert, gesetzliche Regelungen so anzupassen, dass eine Entnahme des Wolfes schon bei drohenden Schäden möglich ist.





Ist Ihrer Meinung nach der „gute Erhaltungs­zustand“ erreicht? Sind Abschusspläne nötig?

Gorißen: Wir begrüßen, dass der Bund mehr Rechtssicherheit im Umgang mit auffälligen Einzeltieren schaffen will. Wir haben den Bund im Zuge der Agrarministerkonferenz dazu aufgefordert, gesetzliche Regelungen so anzupassen, dass eine Entnahme des Wolfes schon bei drohenden Schäden möglich ist.



Wie gut kommen Sie bei dem Thema mit Oliver Krischer klar, der als Umweltminister zuständig ist?

Gorißen: Wir sind zu dem Thema Wolf im engen Austausch und ­Oliver Krischer weiß, wie sehr mir daran gelegen ist, für ­einen ausreichenden Schutz der Weidetierhaltung Sorge zu tragen.

Die Zukunft des Waldes

Die Wiederaufforstung läuft, aber kaum mit Fördermitteln. Warum kommt das Geld nicht auf der Fläche an?

Gorißen: Wir müssen weiter daran arbeiten, Förderbedingungen so anzupassen, damit sie praxisgerechter sind. Wir wollen die vielen kleinen Privatwald­besitzer besser erreichen und sie über gezielte Beratungsangebote unterstützen. Denn wir brauchen die Privatwaldbesitzer, um den Umbau zu einem klimastabilen Wald zu erreichen. Wir beobachten aber auch, dass viele Waldbesitzer auch ohne Inanspruchnahme von Fördermitteln mit der Wiederbewaldung begonnen haben.

Brauchen Privatwaldbesitzer für den Waldumbau





Einige Verbände fordern eine Honorierung der Ökosystemleistung Wald. Bisher tut sich da noch wenig. Ist es überhaupt realistisch?

Gorißen: Der Bund hat mit dem Programm „Klimaangepasstes Waldmanagement“ ja ein Angebot aufgelegt. Mein Eindruck ist, dass dieses Programm vielen Waldbesitzern nicht gefällt. Denn es gibt zwölf strenge Kriterien, die alle eingehalten werden müssen, und zwar für den gesamten Betrieb. Nordrhein-Westfalen hat ein Budget von knapp 20 Mio. €.

Wir sind gespannt, ob die Waldbesitzer das ausschöpfen. Ende September schichtet der Bund dann innerhalb der Bundesländer um. Profitieren dürften vermutlich die, die viel Kommunalwald haben, wie Hessen und Rheinland-Pfalz. Es gibt leider kein Signal, dass der Bund an den Kriterien etwas ändern will.

Zum Nikolaustag 2022 hat die NRW-Landes­regierung rund 800 Wald­besitzern die Streitverkündung zur gebündelten Holzvermarktung ausgesprochen. Wie ist der aktuelle Stand?

Gorißen: Ein Betrieb ist der Streitverkündung beigetreten. Der Europäische Gerichtshof hat uns um eine Stellungnahme gebeten, daran arbeiten wir gerade. Ansonsten ist es ruhig. Die Waldbesitzer dürfen darauf vertrauen, dass wir alles dafür tun, den Prozess zu gewinnen.

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