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topplus Grünenpolitikerin im Interview

So verteidigt Sarah Wiener ihren Pflanzenschutz-Kompromiss

Wir haben mit Sarah Wiener über die EU-Pflanzenschutzverordnung gesprochen. Sie erklärt ihren Plan für die sensiblen Gebiete und warum die EVP für sie kein verlässlicher Partner ist.

Lesezeit: 11 Minuten

Erst kürzlich haben die Abgeordneten des Umweltausschusses im Europaparlament ihre Position zur EU-Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR, Sustainable Use Regulation) verabschiedet. Mit der Verordnung will die EU, den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel bis 2030 halbieren. Vor allem bei konventionellen Landwirten sorgen die Pläne für Unmut.

Wir haben mit Sarah Wiener, EU-Parlamentarierin für die Grünen und Berichterstatterin für die SUR, gesprochen. Das Aufregerthema der "sensiblen Gebiete" will sie an die Mitgliedstaaten weiterreichen.

Frau Wiener, der Umweltausschuss des Europaparlamentes hat den von Ihnen ausgehandelten Kompromissvorschlägen zur EU-Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (SUR) größtenteils zugestimmt. Sind Sie zufrieden?

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Wiener: Der Ausschuss hat nicht nur größtenteils sondern in allen Kompromisspunkten zugestimmt. Und das mit einer komfortablen Mehrheit. Das ist ein politischer Erfolg. Die gesamten rechten Fraktionen waren leider nicht verhandlungs- und kompromissbereit, dennoch haben wir aus der Mitte heraus einen guten und robusten Kompromiss gefunden.

Der wohl am heftigsten diskutierte Teil der SUR sind die sogenannten sensiblen Gebiete und die Auflagen, die Landwirte dort in Zukunft einhalten sollen. Wenn man sich die Position des Umweltausschuss durchliest, dann ist das Anwendungsverbot chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel in den sensiblen Gebieten im Prinzip geblieben.

Wiener: Ein Totalverbot gibt es nicht. In allen sensiblen Gebieten sind biologische Pestizide und Pestizide aus dem Öko-Landbau zugelassen. Von einem Totalverbot kann man nicht reden.

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sollen jedoch komplett verboten sein.

Wiener: Prinzipiell schon. Aber dann kommt im nächsten Paragraphen schon die große Ausnahme. Die besagt, dass die Verantwortung für die Auflagen in sensiblen Gebieten den Mitgliedsländern zurückgegeben wird, indem sie breite Ausnahmen zulassen können. Wir beschweren uns ja immer, dass Europa alles dominiert und die Mitgliedsländer entmündigt werden, obwohl sie am besten wissen, was für ihr Bewohner und Bewohnerinnen funktioniert. Ich habe in dem Kompromiss versucht, den Mitgliedsländern wieder mehr Relevanz zu geben.

Wenn sie sehen, dass nationale Schutzgebiete, etwa Landschaftsschutzgebiete, aus guten Gründen nicht unter die SUR fallen sollen, können sie weitgehende Ausnahmen in diesen Regionen erlassen.

Ziehen Sie sich damit nicht aus der Diskussion um Pflanzenschutzmittel raus und schieben den schwarzen Peter an die Mitgliedsstaaten?

Wiener: Nein, das ist kein schwarzer Peter. Wir geben den Ländern Verantwortung und ermöglichen Ihnen, auf Basis der EU-Definition von sensiblen Gebieten selbst zu entscheiden, welche Orte wirklich ökologisch geschützt werden muss und welche nicht. Ob es also Kindergärten, öffentliche Parkanlagen oder hoch schützenswerte ökologische Hotspots sind. Oder ob es Gebiete sind, wo immer schon Landwirtschaft betrieben wurde und es derzeit keine Alternative zu chemischen Mitteln gibt.

Deswegen ist der Gedanke, das an die Mitgliedsländer zurückzugeben das Beste, was Bäuerinnen und Bauern passieren kann."

Deswegen ist der Gedanke, das an die Mitgliedsländer zurückzugeben das Beste, was Bäuerinnen und Bauern passieren kann. Weil sie sich dann an ihre eigene Regierung wenden können und auch argumentieren können und die Regierung selber am Ende weiß, was sie für Bauern oder Bäuerinnen leisten muss.

Ich nehme an, Sie stehen mit Landwirten im Austausch. Sehen die das auch so?

Wiener: Sie werden es nicht glauben, sie haben ja jemanden vor sich, der Landwirtschaft betreibt. Natürlich rede ich gleichzeitig viel mit anderen Bäuerinnen und Bauern. Gerade in Ihrer Kommentarleiste kann man ja immer großartig sachliche Kommentare lesen auch zu meiner Fraktion. Zum Glück ist das meiner persönlichen Erfahrung nach eine Minderheit, die sich da äußert. Bäuerinnen und Bauern sind oft schon viel weiter als so manche Agrarpolitiker. Ich bin überzeugt, dass es auch meine Aufgabe ist, Bäuerinnen und Bauern zu erklären, was wir uns bei dem Entwurf gedacht haben und wieso er mittelfristig eine vielfältige und zukunftsfähige Landwirtschaft ermöglicht.

In der SUR steht ja auch, dass es unabhängige Beratungen geben soll, um Bäuerinnen und Bauern die Möglichkeit zu geben, mehr über agrarökologische Methoden zu lernen und sich unabhängiger von teurem Input zu machen. Jetzt höre ich schon manche sagen: Wir haben die beste Ausbildung, die es überhaupt gibt und das brauchen wir nicht. Fakt ist aber, dass im EU-Schnitt nur 30% der Landwirte und Landwirtinnen fachliche Ausbildungen abseits der praktischen Erfahrung haben. Natürlich gibt es hier von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat Unterschiede, aber Weiterbildung ist wie in jedem anderen Beruf ein Vorteil und kann zu mehr Unabhängigkeit und zu Wahlfreiheit führen.

Man sollte vielleicht nicht nur den Pestizidindustrievertreter anrufen und sagen: „Was soll ich spritzen?“ Es gibt viele Bäuerinnen und Bauern, denen das zu wenig ist. Die wollen sich gern aus diesem Kreislauf befreien und agrarökologische Instrumente anwenden, um tatsächlich den Boden fruchtbarer und gesünder zu halten.

Die Angst, die dahinterstecken könnte: Die Ausnahmen führen dazu, dass für die europäischen Landwirte beim Pflanzenschutz völlig unterschiedliche Regeln gelten.

Wiener: Das sehe ich jetzt nicht so. Dass wir rund um Krankenhäuser und Kindergärten und in Trinkwasserschutzgebieten keine Pestizide ausbringen, sollte doch im Grunde gesellschaftlicher Konsens sein. Wenn es aber Gebiete gibt, die nicht aufgrund von Umwelt und Gesundheit besonders schutzbedürftig sind, dann ist es doch einfach zu sagen, dieses Schutzgebiet ist ausgenommen von den Regeln der SUR. Punkt. Zum Beispiel in den Weinbaugebieten mit Natura2000-Status, wenn dort schon lange und flächendeckend Landwirtschaft betrieben wird und diese sogar zum Schuttziel des Gebiets zählt.

Wir sind ja nicht in einem tyrannischen Despotenstaat, wo einer oben sitzt und sagt: Ich wische jetzt die Säule unserer Existenz zur Seite, weil ich das gut finde."

An der Frage, ob nahe Krankenhäusern Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden dürfen, regt sich doch eher wenig Widerstand. Reden wir über Landschaftsschutzgebiete, sieht die Sache ganz anders aus. Das könnte 15-20 % der deutschen Agrarfläche betreffen.

Wiener: Moment mal, Landschaftsschutzgebiete sind sowieso draußen.

Die fallen aktuell aber ins Naturschutzregister CDDA und gelten laut Ihrem Kompromiss somit als sensibles Gebiet.

Wiener: Da alle Mitgliedstaaten jedes Jahr sowieso ihre nationalen Schutzgebiete an das sogenannte CDDA Register melden, haben wir beschlossen, dass sie als Teil dieser bestehenden Praxis auch gleich melden, welche ihrer Schutzgebiete aus dem Register für die SUR relevant sind. Das heißt für Deutschland werden die Landschaftsschutzgebiete nicht als sensibles Gebiet gelten, weil die Regierung diese nicht als für die SUR relevant erklären wird.

Davon gehen Sie aus. Das obliegt doch dann der deutschen Regierung.

Wiener: Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung von einer Regierung haben. Wir sind ja nicht in einem tyrannischen Despotenstaat wo einer oben sitzt und sagt: ich wische jetzt die Säule unserer Existenz zur Seite, weil ich das gut finde.

Gibt es weitere Ausnahmen?

Wiener: Die gerade beschriebene Ausnahme wird Bäuerinnen und Bauern bürokratisch leicht gemacht, weil der Mitgliedstaat sich um die Ausnahme kümmert.

Es gibt noch eine zweite Ausnahme für invasive Schädlingsarten. Da haben Sie die Möglichkeit als Einzelperson innerhalb von einer Woche eine Ausnahme für ein chemisches Pestizid zu erhalten. Die gilt dann 60 Tage lang.

Als Anwender müssen sie ein Schild aufstellen, auf dem steht, was sie spritzen und warum. Im öffentlichen Gebiet kann es hilfreich sein, wenn sie massive Spritzungen haben. Allerdings steht genau diese Aussage mit diesem Schild im Vorschlag der Kommission. Das ist also nichts, was auf einen Grünen Mist gewachsen wäre.

Sie sagen das ist hilfreich, andere würden das als Prangertum bezeichnen.

Wiener: Das hat doch etwas mit Transparenz zu tun. Ich bin Wanderer. Und wenn ich in der Uckermark wandern gehe, würde ich das gerne sehen. Mich würde auch interessieren, was ist da für ein Befall und dann würde ich gerne wissen, was da gespritzt wird. Und wenn ich da sensibel bin oder mit meiner kranken Mutter durchgehe und es für nötig erachte, dann nehme ich vielleicht einen anderen Weg. Das ist doch okay. Ebenso in Stadtgebieten: Wieso soll die Öffentlichkeit das nicht wissen, wenn Pestizide eine offizielle Zulassung haben?

Diese SUR enthält eine falsche Bemessungsgrundlage. Sie misst nicht die Giftigkeit der Pestizide und deren Ausbringmengen, sondern nur den Verkauf."

Auf Ebene der Mitgliedstaaten sieht der Vorschlag des Umweltausschusses bis 2030 „mindestens“ eine Halbierung des Einsatzes des chemischen Pflanzenschutzes vor. Bei gefährlicheren Pflanzenschutzmitteln, den sogenannten Substitutionskandidaten, sollen Landwirte bis 2030 65 % einsparen. Als Berechnungsbasis dienen die Jahre 2013-2017. Um welche Parameter geht es dabei konkret?

Wir messen dort die verkauften Mengen in Tonnen. Diese SUR enthält jedoch eine falsche Bemessungsgrundlage. Sie misst nicht die Giftigkeit der Pestizide und deren Ausbringmengen, sondern eben nur den Verkauf.

Weil es keine anderen Daten gibt.

Wiener: Richtig, weil es die Daten für die Anwendung noch nicht gibt. Und das ist schlecht, weil giftige Pestizide meistens mit viel niedrigeren Mengen ausgebracht werden als weniger giftige.

Ein Beispiel: Obstbauern wenden Difenoconazol gegen Apfelschorf an, 56 g/ha. Öko-Bauern nutzen 7,5 kg/ha Backpulver pro Durchgang. Nach dieser Rechnung wäre Backpulver 100 mal gefährlicher als Difenoconazol. Das heißt allein die verkaufte Menge zu berechnen, um zu sagen wir haben jetzt weniger Umweltgifte in unseren Feldern und in der Natur ist nicht korrekt. Sie können mit wenigen Gramm hochgiftige Substanzen ausbringen.

Es gibt noch einen zweiten Webfehler in der Berechnung der Reduktion: Es gibt Pestizide, die nicht mehr zugelassen sind oder ihre Zulassung bald verlieren. Diese würden wir sowieso nicht mehr einsetzen. Aber ihre vermeintliche Einsparung wird mit einer sehr hohen Gewichtung gewertet. Daher werden wir die 40, 50 % Einsparung auf dem Paper ohne eine Änderung erreichen. Das ist der größte Fehler der SUR und die größte Lüge im Text.

Am 22. November muss das gesamte Parlament über seine Position zum Pflanzenschutz abstimmen. Spüren Sie Widerstand für die Position des Umweltausschusses oder blicken Sie entspannt auf die Abstimmung Straßburg?

Wiener: Wir werden wieder schauen, ob wir eine Mehrheit finden, bzw. welcher Kompromiss eine Mehrheit findet.

Also finden Gespräche statt?

Wiener: Natürlich und vermutlich bis kurz vor der Abstimmung am 22.11. Sollte es bis dahin noch Ängste geben, z.B. wegen der sensiblen Gebiete, biete ich nach wie vor jedem das Gespräch an.

Der Fehler wäre ja zu denken, wir wollen etwas gegen jemanden. Wir wollen etwas für jemanden, für die Gesellschaft und da gehören die Bauern genauso dazu. Wir wollen etwas für die Gesundheit machen, für die Zukunft. Gerade auch für eine vielfältige Landwirtschaft.

Und noch eines: Ich hätte gerne einen Kompromiss mit der EVP gefunden. Und ich bin zu allen gegangen, sogar zu den Rechtsradikalen. Ich habe zu allen gesagt: Was ist euer Kompromiss, wo sind eure roten Linien, was sind eure Ideen? Ich wusste ja, dass es Widerstände geben wird. Und da kam: Null. Es kam nichts, außer ‚wir sind prinzipiell dagegen‘.

Wie erklären Sie Sich das?

Wiener: Der Schattenberichterstatter der EVP hat immer gesagt: ‚Entweder Du kommst mit deinen Positionen neben mich oder ich bin nicht dabei.‘ Ich habe die dann gewarnt: Wenn Ihr mich im Regen stehen lasst und ihr wartet, dass eine grüne Berichterstatterin einen schwarzen Entwurf schreibt, der so verwässert ist, dass man sich das Papier und die Mühe sparen kann, dann werdet ihr euch vielleicht irren. Natürlich mache ich dann einen Entwurf, den meine Fraktion für tragbar hält und die Verhandlungen fangen dann mühsamer und später an.

Wenn Ihr mich im Regen stehen lasst und ihr wartet, dass eine grüne Berichterstatterin einen schwarzen Entwurf schreibt, der so verwässert ist, dass man sich das Papier und die Mühe sparen kann, dann werdet ihr euch vielleicht irren."

Natürlich sind auch einige Punkte der EVP aufgenommen, die jetzt auch in der Position des Umweltausschusses enthalten sind.

Ich glaube, dass man den Bäuerinnen und Bauern durch die von Anfang an sehr ablehnende Haltung und Diffamierung letztlich schwer geschadet hat. Dass man denkt, man muss nur Nein sagen und überhaupt nicht verhandeln und nicht auf den anderen zugehen – das ist, finde ich, politisch nicht tragbar. Die Landwirtschaft ist bunt und vielfältig, es gibt noch viele Strukturen außerhalb der agrarindustriellen Landwirtschaft. Diese vielfältigen Bäuerinnen und Bauern haben keine Lobby und fühlen sich auch nicht gut vertreten, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Gerade die Pestizidindustrie hat massiv und einseitig Einfluss auf bestimmte Agrarpolitiker genommen. Wir sind aber Volksvertreter von allen und nicht nur einem Teil der Landwirtschaft.

Am Ende brauchst du eben für alles eine Mehrheit und je grösser sie ist, desto besser für die Demokratie. Außerdem hört man jemandem, der nicht beleidigt und herumkrakelt auch viel lieber zu: Einander respektvoll zuzuhören wäre also schon mal ein guter Anfang.

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