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topplus Politikversagen

Der LEH übernimmt jetzt das Ruder beim Tierwohl

Beim „Tierwohl“ hat der Lebensmittelhandel die Politik als Taktgeber längst überholt. Und nun?

Lesezeit: 4 Minuten

Nur der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) kann höhere Haltungsformen massentauglich machen. Die Politik versagt hier auf ganzer Linie. Das war die klare Botschaft des Kreisverbandstags in Borken. Dazu eingeladen hatte der Kreisverband Borken des Westfälischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Rund 300 Besucher folgten der Podiumsdiskussion zum Thema „Nachhaltigkeit auf dem Teller - Transformation mit oder ohne die heimischen Bauern?“.

Prof. Dr. Achim Spiller von der Uni Göttingen machte in seinem Impulsvortrag deutlich, welchen zentralen Einfluss der LEH mittlerweile beim Umbau der Tierhaltung einnimmt. Die vier großen Handelskonzerne Rewe, Edeka, Lidl und Aldi haben sich nicht nur weiter konzentriert, sie vertikalisieren sich auch über eigene Fleischwerke zunehmend und würden so noch einflussreicher. Zu der Marktmacht kommt nach Spillers Einschätzung noch eine hohe Flexibilität. „Der LEH kann kurzfristig entscheiden, statt Fleisch Ersatzprodukte ins Regal zu legen“, erklärte der Agrarökonom aus Göttingen. Andere Unternehmen und vor allem Landwirte bräuchten viel mehr Zeit für Veränderungen.

Ausgestattet mit so viel Macht und Einfluss müsse der LEH aber Verantwortung übernehmen und sollte verlässliche Angebote bzw. langfristige Verträge schaffen. Es könne nicht sein, dass derjenige mit den breitesten Schultern in der Kette am wenigsten Risiko trage. Das sei jetzt umso wichtiger, weil sich die Politik mehr oder weniger vom Borchert-Konzept verabschiedet hätte. „Ich erwarte in den nächsten Jahren nichts Entscheidendes von der Politik“, sagte Spiller.

Kunden kaufen nach Preis

Rewe-Manager Markus vom Stein wollte die von Spiller skizzierte Verantwortung des LEH erst gar nicht annehmen. „Transformation geht nur gemeinsam“, sagte er gleich zu Beginn seines Vortrags. Der gelernte Koch arbeitet seit 1997 für den Rewe-Konzern und verantwortet u.a. den Einkauf von Fleisch und Wurst. Ihm seien die Probleme der Landwirtschaft bewusst, aber als Handelshaus sei man auch getrieben durch gesellschaftliche Forderungen und dem harten Wettbewerb. „Das wichtigste ist und bleibt der Kunde für uns“, sagte vom Stein und machte so deutlich, dass man nichts zu verschenken habe. Im Gegenteil: Rewe habe durch Inflation und Kaufzurückhaltung 10 % an Mengenabsatz beim Fleisch verloren. Dabei seien die Preiserhöhungen bei Schweinefleisch nicht mal voll umgesetzt worden.

Wie stark der deutsche Verbraucher auf den Preis schaut, machte er an der Absatzentwicklung von günstiger Bierschinkenwurst deutlich, die bei Rewe aktuell 30 bis 40 % höher liegt als vor der Krise. Vom Stein warnte jedoch davor, die Nachhaltigkeitsthemen zu ignorieren. „Die gehen nicht wieder weg“, stellt er klar. Als Rewe versuche man den steten Forderungen nach mehr Tierwohl und Klimaschutz auch im schwierigen Marktumfeld gerecht zu werden.

Lohnt sich der Umbau im Sauenstall?

In der anschließenden Podiumsdiskussion machten zwei angehende Agrarbetriebswirte ihre Sorgen klar. Vera Robers müsste eigentlich den Sauenstall auf dem elterlichen Betrieb an die neuen rechtlichen Anforderungen im Deckzentrum und später auch im Abferkelstall anpassen. Aber sie zögert. „Das ist teuer und ich frage mich, ob sich das lohnt? Hinzu kommt, dass wir genehmigungsrechtliche Schwierigkeiten haben, den Abferkelstall neu zu bauen“, so Robers.

Landwirt Jonathan Vornholt hat nach drei langen Jahren endlich eine Genehmigung für einen Pigport-Stall vorliegen. „Damit könnte ich in die Haltungsform 4 liefern“, erklärte er. Bei den aktuellen Baukosten und der schwierigen Absatzlage für Fleisch mit höheren Haltungsvorgaben wird es aber schwer. „Ich müsste mindestens 40 bis 50 € pro Mastschwein mehr bekommen“, rechnete er vor. Zudem störe ihn, dass die Förderrichtlinien für tiergerechte Haltungssysteme ständig geändert würden. Seine Genehmigung sei jetzt schon wieder überholt.

Setzt sich Haltungsform 3 durch?

Zuspruch bekamen die Nachwuchslandwirte vom WLV-Präsidenten Hubertus Beringmeier. Er warnte davor, die Produktion am Markt vorbei auszubauen. „Wenn wir so weiter machen, verlagern wir die Ställe noch schneller ins Ausland“, sagte er. Für ihn ist Haltungsform 3 noch nicht für die Masse und er setzt auf mehr Tierwohl in den bestehen Stallsystemen. „Hier geht noch was“, betonte Beringmeier.

Dem widersprach Spiller. „Das wird auf Dauer nicht funktionieren“. Der Wissenschaftler forderte, dass der LEH Haltungsformstufe 2 mittelfristig auslisten muss. „Nur so schaffen wir einen breiten Markt für Haltungsform 3“, sagte er.

Darauf wollte sich vom Stein nicht festnageln lassen. „Wir haben interne Ziele bei der Umstellung auf die höhere Stufen“, erklärte er. Es könne aber durchaus ein paar Jahre länger dauern. Man werde aber schon bald feststellen, dass das Fleischangebot der höheren Haltungsformen zunehmen werde. „In einigen Regionen stellen wir unsere Angebote an den Bedientheken schon bald komplett auf Haltungsform 3 und höher um“, kündigte er an.

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