Sie wollen künftig weniger auf Fleisch und Milchprodukte setzen und dafür mehr pflanzliche Proteine anbieten. Warum?
Graf: Das liegt in erster Linie an den sich verändernden Ernährungsgewohnheiten. Immer mehr Menschen in Deutschland ernähren sich laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) flexitarisch. 41 % der Befragten gaben an, Flexitarier zu sein und nur gelegentlich Fleisch zu essen. Zudem würden 43 % mehr pflanzliche Lebensmittel kaufen, wenn diese günstiger angeboten werden würden.
Unser Vorstoß zahlt zudem auf unser Ziel ein, den Anteil pflanzenbasierter Proteinquellen zu erhöhen und so negative ökologische und soziale Auswirkungen in den Lieferketten der Rohstoffe zu reduzieren.
Um die Ziele zu erreichen, wollen Sie die Preise für pflanzliche Proteinquellen und vergleichbare Produkte tierischen Ursprungs angleichen. Was steckt dahinter?
Graf: Mit der Preisanpassung unserer veganen Artikel der Eigenmarke Vemondo möchten wir Kunden vermehrt dazu einladen, pflanzliche Alternativen auszuprobieren. Der Preis soll dabei nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium sein.
Wir verzichten auf Marge.
Werden tierische Proteine künftig teurer, oder senkt Lidl die Preise für die bislang teureren pflanzlichen Produkte?
Graf: Lidl wird die Preise für die bislang teureren pflanzlichen Produkte reduzieren. Wir verzichten dabei aktiv auf Marge. Wir tun das, weil wir davon überzeugt sind, dass wir die Transformation zu einer zukunftsfähigen Ernährung nur mitgestalten können, wenn wir unseren Kunden eine immer bewusstere und nachhaltigere Kaufentscheidung ermöglichen.
Lidl verzichtet also freiwillig auf Geld zugunsten des Ausbaus einer zukunftsfähigen Ernährung?
Graf: Das kann man so sagen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Markt an veganen Alternativprodukten vom Volumen her bisher deutlich kleiner ist als der für die tierischen Produkte. Zudem spielen Faktoren wie unterschiedliche Mehrwertsteuersätze, Produktionskosten und Nachfrage in der Preisgestaltung eine Rolle.
Wir orientieren uns an den Bedürfnissen unserer Kunden.
Durch Ihren Kurswechsel nehmen Sie Einfluss auf das Kaufverhalten der Verbraucher. Ist der mündige Konsument künftig tabu?
Graf: Nein, wir richten uns nur konsequent nach den Bedürfnissen unserer Kunden und bieten ihnen durch unseren Vorstoß eine faire und transparente Wahl in Bezug auf die Art ihrer Ernährung. Auf keinen Fall wollen wir die persönliche Ernährungsweise vorgeben.
Unser zukünftige Proteinstrategie führt zu einer nachhaltigeren Ernährung.
Bis 2030 soll der Anteil pflanzenbasierter Proteinquellen bei Fleisch-, Eier- und Fischprodukten bei Lidl von 11 auf rund 20 % wachsen. Bei alternativen Molkereiprodukten von 6 auf rund 10 %. Welche konkreten Nachhaltigkeitsziele, z.B. CO2-Einsparung, erreicht Lidl damit?
Graf: Wir erfassen unseren CO2-Fußabdruck jährlich, sodass wir hierzu zum aktuellen Zeitpunkt noch keine detaillierten Angaben machen können. Wir sind uns aber sicher, dass wir mit unserer künftigen Proteinstrategie einen nennenswerten Beitrag zu einer nachhaltigeren Ernährung beisteuern werden.
Der Lebensmittelhandel braucht die Landwirte, um seine eigenen Klimaziele zu erreichen. Insbesondere die Tierhaltung ist auf dem Weg zu einem besseren CO2-Footprint ein wichtiger Hebel. Inwieweit spielt dieser Aspekt bei Ihrer Entscheidung eine Rolle?
Graf: Wir erreichen unsere Klimaziele, indem wir den Anteil pflanzlicher Proteine erhöhen und gleichzeitig tierische Proteine klimafreundlicher werden. Eine unserer Maßnahmen ist beispielsweise der Einsatz von entwaldungsfreiem Soja in den Futtermitteln. Zudem arbeiten wir in Pilotprojekten mit Lieferanten an der Verringerung der CO2-Fußabdrücke, zum Beispiel im Bereich Milch. Wir unterstützen darüber hinaus die Bioland Stiftung in mehreren Projekten, die sich beispielsweise mit der Erhebung von Klimabilanzen auf Höfen oder der Weiterbildung von konventionellen und Bio-Landwirten beim Humusaufbau beschäftigen.
Mit dem Verkauf von mehr regional produzierten tierischen und pflanzlichen Produkten könnten Sie Ihre Klimaziele ein Stück weit auch erreichen. Wie steht Lidl zum Thema Regionalität?
Graf: Wir arbeiten jeden Tag daran, die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen in den Lieferketten der Rohstoffe zu reduzieren. Kurze Transportwege, die Frische der Produkte sowie die Unterstützung heimischer Betriebe rücken vermehrt in das Bewusstsein der Verbraucher.
Neben dem Ausbau des Angebots an pflanzlichen Lebensmitteln bieten wir deshalb künftig mehr saisonale und regional produzierte Lebensmittel an – möglichst auch in Bio-Qualität. Unsere Trinkmilch stammt bereits seit 2021 zu 100 % aus deutscher Milchwirtschaft. Frischfleisch und Frischgeflügel werden ebenfalls zu über 90 % in Deutschland erzeugt. Bei Obst und Gemüse sind es rund 45 %. Bei den pflanzenbasierten Proteinquellen achten wir ebenfalls auf regionale Herkunft. So stammt beispielsweise das Soja in unserem veganen Vemondo-Hack oder im Bioland-Tofu aus Deutschland.
In unserem Sortiment ist noch reichlich Platz für Tierwohl.
Lidl setzt sich im Rahmen der Initiative Tierwohl (ITW) für mehr Tierwohl in deutschen Nutztierställen ein. Zudem treiben Sie den Ausbau des Sortiments von Fleischwaren – also tierischer Proteinquellen - aus den Haltungsformstufen 3 und 4 voran. Kommt jetzt die Rolle rückwärts?
Graf: Die Preisanpassung unseres pflanzenbasierten Sortiments bedeutet nicht, dass wir zukünftig keine tierischen Produkte mehr anbieten werden. Im Gegenteil: Wir verkaufen weiterhin beste Qualität zum bestmöglichen Preis und entwickeln unser Sortiment hinsichtlich der Tierwohlstandards kontinuierlich weiter. Der jüngste Erfolg ist die Umstellung auf die Haltungsformstufen 3 und 4 bei frischem Rindfleisch und Trinkmilch. Wir halten unsere Ankündigungen ein!
Brauchen Sie künftig überhaupt noch zusätzliche Nutztierhalter, die mehr Tierwohl in ihren Betrieben umsetzen wollen?
Graf: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft weitere Nutztierhalter brauchen, die höhere Tierwohlstandards umsetzen. Tierisches Protein findet bei Lidl weiterhin seinen Weg in die Einkaufswagen. Wir brauchen aber zusätzliche Vertriebswege wie zum Beispiel die Gastronomie, wenn noch mehr Betriebe umstellen sollen.
Was sagen Sie den Tierhaltern, die bereits auf die Tierwohlforderungen des Handels eingegangen sind und viel Geld in höhere Haltungsformen investiert haben?
Graf: Die Betriebe haben richtig entschieden. Denn die Forderung nach höheren Tierwohlstandards wird in Deutschland bestehen bleiben. Wir als Lidl werden auch zukünftig das Tierwohl in Deutschland gemeinsam mit der deutschen Landwirtschaft weiterentwickeln. In unserem Sortiment ist für Tierwohl noch reichlich Platz.