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Pflanzenschutz 2024

Glyphosat, SUR und Co. – Wie gehts weiter?

Hoch emotional waren die Debatten zum Pflanzenschutz Ende des Jahres. Hier ein Überblick zu Glyphosat, SUR und Co.

Lesezeit: 10 Minuten

Kürzlich gab es wegweisende Entscheidungen im Pflanzenschutz: Nachdem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für den Wirkstoff  Glyphosat  „keine kritischen Problembereiche“ feststellen konnte, hat die EU-Kommission ihn für weitere zehn Jahre in der EU zugelassen. Jetzt liegt der Ball bei Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) – er muss nun sagen, wie es mit Glyphosat auf nationaler Ebene weitergeht.

SCHNELL GELESEN

Das deutsche Glyphosat-Verbot ist rechtswidrig. Daraufhin musste das BMEL reagieren und hat den Einsatz per Eilverordnung nun bis zum 30. Juni 2024 genehmigt.

Die SUR-Verordnung ist zwar erst einmal vom Tisch, allerdings wird es künftig wohl einen neuen Vorschlag geben.

Wegen des Wirkstoffwegfalls drohen immer mehr Behandlungslücken. Weder biologische Mittel noch die RNAi-Tech­nologie werden die Verluste kurzfristig wettmachen können.

Zudem erteilte kürzlich das EU-Parlament der sogenannten  SUR-Verordnung  eine Absage, in der es u. a. um Einsatzverbote chemischer Pflanzenschutzmittel in sensiblen Gebieten ging. Offensichtlich soll es in Zukunft aber einen neuen Anlauf geben.

Glyphosat: Deutsches Verbot ist rechtswidrig

Mit Beschluss vom 4.12.2023 hat das Verwaltungsgericht Aachen die Rechtswidrigkeit des generellen deutschen ­Anwendungsverbots Glyphosat-haltiger Pflanzenschutzmittel ab dem 1.1.2024 (gemäß Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung) bestätigt. Das geht aus einer Pressemitteilung von KOOF & KOLLEGEN, Rechtsanwälte aus Linnich, hervor.

Eilantrag von Landwirten

Den gerichtlichen Eilantrag hatten die rheinländischen Landwirte Dion und Daniel Feiter aus Linnich (www.feiter.de) eingereicht – sie haben weder Kosten noch das Prozessrisiko gescheut und sich damit für den Berufsstand stark gemacht. Vorausgegangen war, dass die EU-Kommission den Wirkstoff Ende November für zehn weitere Jahre in der EU zugelassen hat.

Die Details: Die Kammer des Gerichts weist in der Begründung auf die Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat gemäß EU-Durchführungsverordnung (Nr. 2023/2660) vom 28.11.2023 hin. Die Verordnung gelte ab dem 16.12.2023 und sei in allen ihren Teilen verbindlich und gelte unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Im Rahmen des Eilverfahrens kontaktierte die Kammer nach Veröffentlichung dieser Durchführungsverordnung das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Nach Prüfung des Sachverhalts brachte das BMEL dann Mitte Dezember eine Glyphosat-Eilverordnung auf den Weg, die gestern in Kraft trat. Mit dieser sogenannten „Verordnung zur vorläufigen Regelung der Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel“ wird ab dem 31.12.2023 für sechs Monate bis zum 30. Juni 2024 das vollständige Anwendungsverbot von Glyphosat ausgesetzt. Darüber hinaus sind die aktuell geltenden Anwendungsbeschränkungen und -verbote für Glyphosat weiterhin einzuhalten und entfallen nicht! Nach Angaben der LWK Niedersachsen gilt nun Folgendes:

Grundsätzliche Verbote

  • Anwendungen in Wasserschutzgebieten, Heilquellenschutzgebieten und Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten, egal in welcher Kultur.
  • Spätanwendungen vor der Ernte (= Sikkation), egal in welcher Kultur.
  • Einsätze in Naturschutzgebieten, Nationalparks, nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und gesetzlich geschützten Biotopen, egal in welcher Kultur.

    Hinweis: Diese Anwendungsverbote für Glyphosat bestehen bereits seit vielen Jahren. Hierfür dürfen nun keine Ausnahmegenehmigungen mehr erteilt werden.

Anwendung von Glyphosat auf Ackerflächen

  • Vor der Anwendung muss man prüfen, ob sich alternativ vorbeugende Maßnahmen (wie z.B. Fruchtfolge, Wahl des Saattermins oder mechanische Maßnahmen bzw. pflügen) durchführen lassen. Eine Anwendung ist nur dann erlaubt, wenn diese Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar sind. Die Prüfung vor der Anwendung sollte ausreichend dokumentiert werden.
  • Eine Vorsaatbehandlung ist nur zulässig



    - zur Beseitigung perennierender Unkräuter, wie z.B. Ackerkratzdistel, Ampfer, Landwasserknöterich, Quecke usw. auf den betroffenen Teilflächen. Hinweis: Flächen im Direkt- oder Mulchsaatverfahren sind von dieser Einschränkung nicht betroffen.



    - zur Unkrautbekämpfung einschließlich der Beseitigung von Mulch- und Ausfallkulturen auf Ackerflächen, die einer CC-Erosionsgefährdungsklasse zugeordnet werden (CCWasser1, CCWasser2 oder CCWind gemäß Agrarzahlungen-Verpflichtungenverordnung).
  • Als Stoppelbehandlung sind Anwendungen nur zulässig



    - zur Bekämpfung perennierender Unkräuter (s. o.) auf den betroffenen Teilflächen. Hinweis: Dies betrifft auch Flächen im Direkt- oder Mulchsaatverfahren.



    - zur Unkrautbekämpfung einschließlich der Beseitigung von Mulch- und Ausfallkulturen auf Ackerflächen, die einer CC-Erosionsgefährdungsklasse zugeordnet werden (CCWasser1, CCWasser2 oder CCWind gemäß Agrarzahlungen-Verpflichtungenverordnung).

SUR-Verordnung: Kommt ein neuer Anlauf?

Mit der EU-Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR, sustainable use regulation) wollte die EU-Kommission den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel reduzieren, um damit die Ziele der europäischen Farm-to-Fork-Strategie zu erreichen (u. a. 50 % weniger chemische Pflanzenschutzmittel bis zum Jahr 2030). Vor allem die im Rahmen der SUR geplanten Anwendungsverbote in sensiblen Gebieten lösten bei Landwirten große Sorgen aus. Nach langen Verhandlungen stimmte das EU-Parlament Ende November 2023 allerdings dafür, die Arbeit an dem Vorschlag abzubrechen.

Unter den EU-Mitgliedstaaten herrscht offenbar Unklarheit darüber, wie bzw. ob es mit der Verordnung weitergeht. Der Vorsitzende des EU-Agrarministerrates, Spaniens Agrarminister Luis Planas, sagte bei einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen Mitte Dezember in Brüssel: „Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bei der SUR bringt.“ Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides referierte vor den Agrarministern als hätte es das Votum des EU-Parlamentes nicht gegeben. Sie will an der SUR festhalten.

Laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gleicht die SUR einem „Scherbenhaufen“. „Die EU-Kommission hat alles über einen Kamm geschoren, das gilt insbesondere für die empfindlichen Gebiete. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.“ Die grundsätzliche Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln befürwortet der Minister aber nach wie vor.

Eine ganze Reihe der Agrarminister betonte, die Gespräche zur Pflanzenschutzverordnung fortsetzen zu wollen. Das ist nun die Aufgabe der belgischen Regierung, die die EU-Ratspräsidentschaft am 1. Januar 2024 von Spanien übernimmt. Einigen sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position zur SUR, könnte das EU-Parlament dann über eine eigene Position zum SUR-Standpunkt der Mitgliedstaaten abstimmen. Dass das vor der EU-Wahl im Juni kommenden Jahres noch gelingt, gilt für viele Brüsseler Beobachter als ausgeschlossen.

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K O M M E N T A R

Herr Özdemir – seien Sie konsequent!

Die EU-Behörde für Lebensmittel­sicherheit EFSA hat den Wirkstoff ­Glyphosat als nicht kritisch bewertet. Daraufhin hat ihn die EU-Kommission europaweit wieder für weitere zehn Jahre genehmigt – das ist konsequent und entspricht klar und deutlich wis­senschaftlichem Handeln.







Völlig inkonsequent und obendrein rechtswidrig ist das Verhalten von ­Bundesagrarminister Cem Özdemir, der trotzdem Vorbehalte äußert. Herr Özdemir, halten Sie sich an geltendes Recht und ebnen Sie nun den Weg, dass unsere Landwirte Glyphosat auch nach dem Ende der Eilverordnung - also nach dem 30. Juni 2024 - anwenden können. Verzichten Sie dabei auf Anwendungsbestimmungen, die den Einsatz beispielsweise auf einem Teil der Fläche verbieten, so wie es das Umweltbundesamt offensichtlich will. Denn auch das wäre inkonsequent. ­Der Wirkstoff Glyphosat ist sicher – das ist das finale Urteil unserer obersten Lebensmittelsicherheitsbehörde.

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I N T E R V I E W

Wirkstoffvielfalt – eine Legende

Während die Politik den Wirkstoffverlust als „gefühlt“ verharmlost, drohen immer mehr Behandlungslücken. Biologische Alternativen lassen noch auf sich warten. Wie die Situation ist, fragten wir Dr. Günther Peters, den Vorsitzenden des Fachausschusses Technik des IVA.

top agrar: In den Debatten um den Wirkstoffwegfall verweist die Politik oft darauf, dass die Anzahl der Wirkstoffe und Mittel laut des BVL in den letzten Jahren kaum gesunken ist. Wo liegt bei dieser Betrachtungsweise der Fehler?

Peters: Wir erleben spätestens seit ­Anfang der 2000er-Jahre einen kontinuierlichen Wirkstoffverlust, durchschnittlich gehen 16 Wirkstoffe pro Jahr wegen immer strengerer Zulassungsvorschriften in der EU verloren – das gilt übrigens auch für biologische Wirkstoffe.

Die Gesamtzahl der Wirkstoffe oder Produkte ist aber die falsche Messgröße, denn erst der Blick auf die Bekämpfungsmöglichkeiten für einen bestimmten Schaderreger in einer bestimmten Kultur zeigt die tatsächliche Verfügbarkeit von Lösungen im Pflanzenschutz. Sehr einfach kann das jeder selbst für jede einzelne der mehr als 5.600 zugelassenen Anwendungsgebiete über die Engpass-Analyse auf der frei zugänglichen Plattform PS-Info recherchieren. Diese findet man unter  https://www.pflanzenschutz-information.de

In welcher Kultur bzw. gegen welchen Schaderreger ist die Wirkstoffverfügbarkeit schon jetzt stark eingeschränkt und welche Folgen hat das?

Peters: Der Wirkstoff-Engpass zeigt sich bereits bei weitverbreiteten Feldkulturen und nicht nur bei kleinen Sonderkulturen. So stehen z. B. im Kartoffel-, Raps- und Obstanbau kaum noch Insektizide zur Verfügung.

Bei Pflanzkartoffeln werden die Folgen direkt deutlich: Virusfreie Pflanzkartoffeln werden für die nächste Ernte benötigt, derzeit sind aber nur noch zwei Pyrethroide und ein Flonicamid gegen „Blattläuse als Virusvektoren“ zugelassen – neben Paraffinöl.

Zu bedenken ist, dass auch der ökologische Kar­toffelbau auf konventionell erzeugtes Pflanzgut angewiesen ist, das frei von Viren und Rhizoctonia ist. Wegen der Aberkennung von virusbelasteten Pflanzgutpartien fehlen für die kommende Saison 2024 rund 20 % der in der EU benötigten Pflanzkartoffeln.

Ist zu erwarten, dass Behandlungslücken mehr und mehr über Notfallzulassungen geschlossen werden müssen?

Peters: Ja und nein: Ja, weil der Schaderreger nunmal nicht mit dem Wirkstoff verschwindet, sondern ohne Bekämpfungsmöglichkeit für den Landwirt zu einem Notfall wird, auf den immer häufiger mit einer Notfallzulassung reagiert werden muss. So stieg nach BVL-Informationen die Zahl der Notfallzulassungen von 71 im Jahr 2020 auf 81 im Oktober 2023. Die Zahl der Anträge auf Notfallzulassung stieg von 65 im Jahr 2017 sogar auf 135 im Oktober diesen Jahres.

Und nein, weil der Europäische Gerichtshof im Januar 2023 geurteilt hat, dass Notfallzulassungen für ausdrücklich verbotene Wirkstoffe nicht erlaubt sind. Zukünftig wird es also weniger Notfallzulassungen geben.

Daher müssen wir dafür sorgen, dass Notfallzulassungen nur für wirkliche Notfälle genutzt werden. Wirk­stoff­verluste hinnehmen, weil man sie mit Notfallzulassungen heilen kann, darf und kann keine Strategie sein.

Können biologische Mittel oder die RNAi-Technologie in naher Zukunft die Lücken schließen?

Peters: RNAi-Wirkstoffe nutzen die RNA-Interferenz, ein natürliches System, mit dem Zellen die Aktivität von Genen regulieren. Dabei wird ­gezielt doppelsträngige RNA auf die Pflanzen gesprüht, Schädlinge nehmen sie auf und in deren Zellen wird das Immunsystem alarmiert. Wegen der hohen Selektivität und u. a. der guten Umwelt­eigenschaften und Human­toxizität können sie eine Alternative zum chemischen Pflanzenschutz sein.

Das EU-Zulassungssystem hinkt der Forschung viele Jahre hinterher

Allerdings: Alle biologischen Alter­nativen im Pflanzenschutz müssen dieselben Zulassungsverfahren durchlaufen, die aber für chemische Wirkstoffe entwickelt wurden. Was fehlt, sind ­passende Datenanforderungen, die die Neuartigkeit der Wirkstoffe berücksichtigen. Die Pipeline für RNAi-Wirkstoffe und andere biologische Mittel scheint gefüllt zu sein, allerdings läuft das europäische Zulassungssystem viele ­Jahre der Forschung hinterher. Und es braucht Firmen, die z. B. ­RNAi-Wirkstoffe zur Marktreife bringen können, sobald Zulassungsanforderungen festgelegt sind. Insgesamt können sie vermutlich bis Anfang der 2030er-Jahre die Wirkstoffverluste nicht wettmachen.

Was raten Sie der Politik nun?

Peters: Für die Politik ist wichtig zu verstehen, dass der Wechsel auf biologische Alternativen im Pflanzenschutz nur gelingen kann, wenn diese rasch zur Marktreife kommen. Das ist derzeit leider weder für biologische Pflanzenschutzmittel, für Wirkstoffe mit ­geringem Risiko, noch für neue Wirkstoffarten wie RNAi möglich. Daher braucht es Realismus in der politischen Debatte und bei Entscheidungsträgern, um die drohende Innovationslücke im Pflanzenschutz zu verhindern.Das Gespräch führte Matthias Bröker

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