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Studie

Fraßschäden: Wie Jäger Wildgänse vergrämen

Die Zahl der Wildgänse in Deutschland steigt – und mit ihnen auch die Fraßschäden. Inwieweit Vergrämungsabschüsse Ertragsverluste verhindern können, zeigt ein Projekt der Uni Gießen.

Lesezeit: 9 Minuten

Unser Autor: M.Sc. Johann David Lanz, AG Wildtierforschung, Justus-Liebig-Universität Gießen

Fliegt ein Schwarm Wildgänse in einen Raps- oder Rübenbestand, können die Fraßschäden beträchtlich sein. Dies passiert regional immer öfter. So breiten sich die Gänse neben den großen Rastgebieten an der Nordseeküste und am Niederrhein zunehmend auch im Binnenland aus. Dort, wo eine offene Kulturlandschaft und größere Wasserflächen (z. B. Kiesseen) zusammentreffen, fühlen sie sich besonders wohl.

Ursprünglich suchten Wildgänse ihr Futter auf Salz- und Auwiesen, heute finden sie es auf landwirtschaftlichen Flächen. Betroffen sind neben Grünland auch Getreide-, Rüben- und Rapsbestände, weil sie eiweißreiche und faserarme Nahrungsquellen bieten. Hier ist Nahrung das ganze Jahr über verfügbar, sodass sich einige Wildgansvorkommen mittlerweile ganzjährig am selben Ort aufhalten.

Generell finden sich Gänse nicht vereinzelt zur Futtersuche ein, sondern treten meist in Gruppen von Dutzenden bis hin zu Hunderten Tieren auf. Das dient in erster Linie dem Schutz vor Feinden. Dort, wo viele Artgenossen friedlich fressen, fühlen sich Wildgänse sicher – auch wenn sie einer anderen Gänseart angehören. Die Nacht verbringen sie in Gruppen auf größeren Gewässern in der Nähe der Nahrungsflächen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Wildgänse eine landwirtschaftliche Fläche in der Nähe der Gewässer aufsuchen, ist deshalb besonders hoch. Weil sich die Gänse oft auf wenige Futterflächen konzentrieren, sind die Ertragsverluste dort entsprechend hoch.

Gibt es Entschädigungen für Gänsefraß?

Schäden an  Rüben  entstehen teils innerhalb weniger Tage. Im Sommer reißen die Gänse die oberirdischen Pflanzenteile ab, um besser an den Rübenkörper im Boden zu gelangen. An der Rübe selbst fressen sie dann nur den oberen Teil an. Trotzdem ist jede angefressene Rübe ein Totalverlust.

 Winterweizen und -raps  werden dagegen erst geschädigt, wenn viele Gänse intensiv und kontinuierlich über einen Zeitraum von mehr als zehn Tagen fressen. Dies nennt man auch „Beweidung“. Ist der Beweidungsdruck gering, können Raps- und Getreidepflanzen den Schaden durchaus wieder vollständig kompensieren.

Ob es bei höheren Schäden Ausgleichszahlungen für Mindererträge gibt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. So lassen sich in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in bestimmten Fällen Entschädigungen beantragen. Einem Landwirt aus Ostfriesland wurden z. B. Ende 2022 75.000 € zugesprochen. Der Fall wird derzeit aber noch vor Gericht verhandelt. In den meisten anderen Bundesländern sind Ausgleichszahlungen für Gänsefraß hingegen nicht geregelt.

Gegen Wildgänse hilft eine ­„Landschaft der Furcht“

Vor allem dort, wo Wildgänse erst seit wenigen Jahren und in nicht zu großer Zahl auftreten, kann eine abgestimmte Jagd helfen. Weil die Tiere sehr intelligent sind und Gefahren mit Örtlichkeiten verknüpfen können, meiden sie Flächen, die sie als bedrohlich empfinden. Dieses Prinzip nennt die Wissenschaft eine „Landschaft der Furcht“.

Während der  regulären Jagdzeiten  kann man z. B. den Jagddruck auf Flächen, die besonders stark von Gänsen beweidetet werden, erhöhen und so eine Landschaft der Furcht schaffen. Wichtig sind dabei zeitnahe Absprachen zwischen Landwirten und Jägern. Zusätzlich sollte der Jagddruck auf weniger schadanfälligen Flächen, z.B. mit Zwischenfrüchten, reduziert oder eingestellt werden. So können die Tiere auf diese Alternativflächen ausweichen.

Allerdings entstehen viele Fraßschäden  außerhalb der gesetzlichen Jagdzeiten  (siehe Übersicht 1). Diese unterscheiden sich zwischen den Bundesländern, umfassen aber meist den Herbst sowie Teile des Spätsommers und Winters. Die meisten landwirtschaftlichen Ertragsschäden entstehen aber im Juni/Juli bzw. im Februar/März.

Um die Tiere auch in diesem Zeitraum kontrollieren zu können, kann man eine spezielle Genehmigung bei der Unteren Jagdbehörde beantragen. Diese kann gemäß § 27 Abs. 1 Bundesjagdgesetz (BJG) anordnen, „dass der Jagdausübungsberechtigte unabhängig von Schonzeiten innerhalb einer bestimmten Frist in einem bestimmten Umfang den Wildbestand zu verringern hat, wenn dies mit Rücksicht (…) insbesondere auf die Interessen der Landwirtschaft (…) notwendig ist“. Dabei müssen Behörden aber auch den Artenschutz beachten.

Neues Vergrämungskonzept aus Hessen

Wie das Wildgansmanagement außerhalb der Jagdzeiten in der Praxis aussehen kann, wurde in einem Projekt im nordhessischen Eschwege geprüft. Fraßschäden durch Wildgänse führten hier dazu, dass Landwirte, Jäger und örtliche Behörden den Kontakt zum Arbeitskreis Wildtierforschung an der Vogelklinik der Uni Gießen suchten. Daraus entstand die Idee, von Frühjahr 2018 bis Ende 2022 Unter­suchungen u. a. zum Gänsefraß und zur Wirkung eines abgestimmten Jagdkonzepts mit Vergrämungsabschüssen durchzuführen.

Sie finanzierten sich aus der Jagdabgabe des Landes Hessen. In der Projektregion rund um den Werratalsee hatten sich in den letzten 15 bis 20 Jahren Brutvorkommen von Grau- und Nilgänsen etabliert. Die örtliche Gänsepopulation steigt seitdem an. Im Sommerhalbjahr halten sich mittlerweile rund 300 bis 500 Grau- und Nilgänse in der Region auf. Außerdem leben hier Höckerschwäne, die in Hessen keine Jagdzeit haben.

Während des Winterhalbjahres kommen noch überwinternde Wildgänse aus dem Norden hinzu. So erhöht sich die Anzahl der Tiere zwischen November und Februar auf etwa 1.500. Unter den Wintergästen befinden sich noch weitere Arten, wie Bläß- und Saatgans, die man in Hessen nicht bejagen darf. Durch die Wintergäste steigt der Beweidungsdruck in den Monaten November bis Februar noch deutlich an.

In den  ersten drei Jahren  des Projekts fokussierten sich die Forscher darauf, die Ertragsrückgänge durch den Gänsefraß zu messen. Dabei verglich man die Erträge einer ungezäunten Referenzfläche mit denen einer eingezäunten Parzelle, auf die Wildgänse nicht gelangen konnten (siehe Übersichten 2 und 3).

Die Ergebnisse: In Winterraps und Winterweizen ließen sich statistisch ­absicherbare Ertragsrückgänge nachweisen, die durch weidende Wildgänse und Schwäne verursacht wurden. Im Winterraps fielen die Fraßschäden stärker aus als im Weizen.

Während die Schäden im Weizen im Winterhalbjahr oft gravierend aussahen, konnten sich die Pflanzen bis zur Ernte oft wieder gut regenerieren. Im Sommerhalbjahr waren besonders einzelne Zuckerrübenflächen von erheblichen Fraßschäden betroffen. Fast alle Ertragsverluste entstanden außerhalb der Jagdzeiten.

Im  Winter 2020/21  führte man erstmals Vergrämungsabschüsse außerhalb der Jagdzeiten auf einem Winterrapsfeld durch – mit Erfolg. Erstmals wurden die Vergrämungsabschüsse Mitte Dezember 2020 für einen Zeitraum von 10 Tagen beantragt. Die nächsten folgten 36 Tage später, Ende Januar 2021.

Die Ergebnisse: Während des ersten Vergrämungs-Intervalls erlegten die Jäger vier Graugänse auf dem Rapsfeld. Das führte dazu, dass alle Wildgänse dieses Feld für 36 Tage mieden. Ende Januar kehrten die Wildgänse zurück. Während des zweiten Intervalls wurden dann fünf weitere Graugänse geschossen, sodass die Tiere das Feld schließlich bis zur Ernte mieden. Mindererträge ließen sich so vollständig vermeiden.

Auf zwei weiteren Rapsfeldern, auf denen Gänse in den Wintern 2018/19 und 2019/20 ohne Vergrämungsabschüsse weideten, waren die Mindererträge mit 25 % bzw. 34 % enorm.

Eine Gänse-Strategie geht nur gemeinsam

Das genaue Vorgehen bei den Abschüssen wurde vorab mit allen relevanten Interessensgruppen abgestimmt, um eine größtmögliche Zustimmung für das Vorhaben zu gewinnen. Eingebunden waren neben Vertretern der Landwirte und Jäger auch die Untere Jagdbehörde und die Untere Naturschutzbehörde. Die Interessen des Naturschutzes vertraten der Kreisbeauftragte für Vogelschutz und Vertreter der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e. V. (HGON), eines landesweit organisierten Naturschutzvereins.

Das Konzept für die Vergrämungsabschüsse hatten die verschiedenen Seiten gemeinsam erarbeitet. Ziel war es, einen Kompromiss zwischen Schadensverhütung und Artenschutz zu finden, der für alle Seiten akzep­tabel ist. So geht es bei den Abschüssen in erster Linie um das Vertreiben der Wildgänse von stark betrof­fenen Feldern und nicht um eine eindrucksvolle Jagdstrecke.

Regeln für Vergrämungsabschüsse

Generell ist wichtig, Vergrämungsabschüsse gezielt durchzuführen. Auf folgende Vorgehensweise haben sich die Beteiligten geeinigt:

  1.  Die Vergrämungsabschüsse beschränken sich auf einen Zeitraum von zehn Tagen.
  2.  Es dürfen maximal zehn Wildgänse aus jagdbaren Arten erlegt werden (Hessen: Graugans, Kanadagans und Nilgans).
  3.  Die maximale Jagdstrecke von zehn Wildgänsen ist unabhängig von der Anzahl der einzelnen Vergrämungsaktionen. Mehrere Abschüsse pro Aktion schränken den Spielraum für weitere Abschüsse in den zehn Tagen ein.
  4.  Die Anzahl der erlegten Wildgänse muss noch am selben Tag der Unteren Jagdbehörde mitgeteilt werden.
  5.  Ist die maximale Jagdstrecke von zehn Wildgänsen vor Ende der genehmigten zehn Tage erreicht, enden die Abschüsse vorzeitig.
  6.  Vergrämungsabschüsse sind ausschließlich auf festgelegten landwirtschaftlichen Flächen erlaubt. Diese Flächen müssen der Unteren Jagdbehörde deshalb vor Abschuss gemeldet werden.
  7. Wildgänse dürfen bei den Aktionen nur per Kugelschuss erlegt werden (Schrotschüsse sind untersagt). Zudem ist nur das Erlegen von sitzenden Gänsen erlaubt.
  8. In gemischten Gruppen verschiedener Gänsearten sollten möglichst Nilgänse erlegt werden, da sie als invasiv gelten.
  9. In die Zahl der Vergrämungsabschüsse zählen nur Gänse, die zum Zeitpunkt der Aktion keine Jagdzeit haben.

Die Untere Jagdbehörde im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis genehmigt Vergrä­mungs­­abschüsse generell nur auf Flächen, wo Ertragsverluste drohen. Das sind in erster Linie Felder, auf denen eine große Anzahl von Wildgänsen über mehrere Tage hinweg geweidet hat. Wie lang dieser Zeitraum und wie hoch die Anzahl der Wildgänse sein muss, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab. Damit das Konzept aufgeht und Jäger rechtzeitig eingreifen können, sollten diese Genehmigungsverfahren künftig in von 48 Stunden auf den Weg gebracht werden können.

Klar ist aber auch: Es lassen sich nicht für jedes Feld, auf dem Wildgänse außerhalb der Jagdzeit einfliegen, Vergrämungsabschüsse beantragen. Primär geht es bei den Abschüssen darum, besonders stark beweidete Flächen (zeitweise) zu entlasten, damit sich die Pflanzen wieder regenerieren. Die Gänse müssen auf andere Flächen ausweichen können.

Damit die Abschüsse ihr Ziel in der Praxis erfüllen, ist eine enge Zusammenarbeit und schnelle Kommunikation zwischen Unteren Jagdbehörden und Unteren Naturschutzbehörden erforderlich. Natürlich ist das Konzept nicht auf jede Region übertragbar, in ­Zukunft könnte eine solche konsensorientierte Herangehensweise aber helfen, lokale Konflikte zwischen Interessengruppen zu entspannen.

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