Die pauschalen Reduktionsziele der EU-Kommission und der Ampelregierung beim chemischen Pflanzenschutz sind im Agrarausschuss des Bundestages auf teils scharfe Kritik gestoßen. Allerdings wurden auch Sympathien für die Halbierung des Mitteleinsatzes bis 2030 deutlich.
Bei einer Anhörung zum Thema stellte der Sachverständige Prof. Andreas von Tiedemann von der Universität Göttingen gestern in Berlin fest, dass die Risiken der gegenwärtig eingesetzten Pflanzenschutzmittel aus wissenschaftlicher Sicht systematisch überschätzt werden, während Wohlfahrtseffekte dieser Mittel, aber auch bereits erzielte Risikominderungen ignoriert werden.
Tiedemann: Reduktionsziele wissenschaftlich nicht begründbar
Der Vorschlag der EU-Kommission zur weiteren Einschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist nach Tiedemanns Einschätzung auch wissenschaftlich nicht begründbar. Für ihn ist sie ein Beispiel für „eine weitere Fehlsteuerung in der Pflanzenschutzpolitik, die auf einer falschen Nutzen-Risiko-Bewertung des Pflanzenschutzes beruht“. Dabei werde das zunehmende Auftreten neuer Schaderreger zukünftig einen noch effektiveren Pflanzenschutz erfordern. Der Pflanzenschutzmitteleinsatz sei jedenfalls für die Regulierung der Biodiversität die falsche Stellschraube, betonte der Göttinger Agrarwissenschaftler.
Unionsantrag: Ernährungssicherheit nicht umweltpolitischen Zielen opfern
Anlass der Anhörung war ein Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem die Abgeordneten fordern, dass die „Erreichung umweltpolitischer Ziele in der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Sicherstellung der ernährungspolitischen Souveränität in der Europäischen Union maßvoll und praxistauglich sein“ müssten.
Bei Vorschriften zur Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln müsse Bedarfsgerechtigkeit und Effizienz im Vordergrund stehen und nicht die pauschale Reduktion. Grundsätzlich sei dafür einzutreten, die Belastung der Umwelt durch einen umfassenden Ansatz aus Innovationen in Züchtung, Pflanzenschutz, Digitalisierung und anderen Bereichen zu minimieren, heißt es in dem Antrag zur Begründung.
Krüsken: EU-Vorschläge nicht praxistauglich
Unterstützt wird der Unionsantrag vom Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken. Er stellte klar, dass der Bauernverband Artenschutz in der Agrarlandschaft grundsätzlich unterstützt. Die dafür genannten Vorschläge der EU-Kommission seien jedoch weder praxistauglich noch verhältnismäßig“, sagte Krüsken. Gleichzeitig werde das Ziel der Ernährungssicherung vollkommen außer Acht gelassen. Der Deutsche Bauernverband fordert deshalb eine Abkehr von pauschalen Mengenreduzierungen und von gebietsweisen Pflanzenschutzverboten.
Gemmer: EU beschleunigt den Strukturwandel
Auch der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar (IVA), Frank Gemmer, kritisierte die „fehlende wissenschaftliche Basis der Reduktionsziele für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die fehlende Berücksichtigung der Verfügbarkeit von Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln“.
Er warnte, dass die einseitige Fokussierung auf ein „nicht zielführendes sowie nicht evidenzbasiertes Pflanzenschutz-Reduktionsprogramm“ schwerwiegende Konsequenzen für die Landwirtschaft haben. Sollten die EU-Vorgaben 1:1 umgesetzt werden, wären mindesten 3,5 Mio. ha der Ackerfläche betroffen. Als Folge sei die Beschleunigung des Agrarstrukturwandels hin zu weniger, dafür aber größeren Agrarbetrieben und eine höhere Importabhängigkeit zu erwarten.
Bellingrath-Kimura: Umsetzung der EU-Pläne noch nicht untersucht
Eine andere Auffassung hat die Leiterin des Bereichs Landnutzung und Governance am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg, Prof. Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura. Das Potential für eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der deutschen Landwirtschaft ist nach ihrer Ansicht bisher noch gar nicht systematisch untersucht worden.
Erste Erkenntnisse von ZALF-Forschungsprojekten zeigen laut Berllingrath-Kimura, dass für eine substantielle Reduktion nicht ein einzelner Schlag für eine Kultur in einer Saison betrachtet werden könne, sondern die Berücksichtigung raum-zeitlicher Beziehungen zwischen verschiedenen Fruchtarten über längere Fruchtfolgen im Landschaftskontext wichtig sei.
Die ZALF-Leiterin plädiert dafür, die Reduktion von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln vor allem mit Anreizen und der fachlichen Unterstützung für Landwirte statt mit Verboten umzusetzen.