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topplus Nahrungskonkurrenz

Fressen Kühe unsere Lebensmittel weg?

Nutztiere gelten in Debatten häufig als Konkurrenten zur menschlichen Ernährung. Ein Rechenmodell zeigt, dass dies nicht stimmt. Rinderhalter können damit auch die eigene Ration bewerten.

Lesezeit: 2 Minuten

Unser Autor: Dr. Wolfram Richardt, Landeskontrollverband Sachsen

Die Tierhaltung steht in Klimadebatten im Fokus. Nicht nur wegen der verursachten Emissionen, auch das Verfüttern von potenziellen Lebensmitteln wird diskutiert. Beispielsweise fordert Greenpeace das Verfüttern von Lebensmitteln zu unterbinden bzw. zu sanktionieren. So geht es aus der Studie „Förderung einer nachhaltigen Milcherzeugung – Maßnahmen und Instrumente“ der Umweltorganisation von August 2023 hervor.

Schnell gelesen

  • Ob eine Milchviehration in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung steht, lässt sich mit einem Modell berechnen.

  • Proteine und Energie, die Pflanzen ­theoretisch als Lebensmittel liefern ­könnten, werden mit denen aus Milch oder Fleisch ins Verhältnis gesetzt.

  • Das Verfüttern von Leguminosen verursacht ein Zielkonflikt, weil Ackerbohnen oder Soja auch als direkte Lebensmittel nutzbar sind.

  • Beispiele aus der Praxis zeigen, dass Milchviehrationen nicht in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehen.

  • Als Grundlage für Diskussionen kann jeder Tierhalter das Modell nutzen und die Nahrungskonkurrenz der eigenen Ration berechnen.

Wissenschaftler untersuchen: Fressen Kühe Lebensmittel?

Aber stimmen Aussagen, wie „Kühe fressen unsere Nahrung weg und produzieren auch noch Methan“ wirklich?

Fakt ist: Wiederkäuer produzieren bei der Verdauung von Futtermitteln Methan und haben einen schlechteren CO2-Fußabdruck als z. B. Geflügel und Schweine. Grund dafür ist das Verdauungssystem. Rinder bauen über 70 % der aufgenommenen Nahrung in ihrem Vormagensystem ab und wieder neu auf. Auf der anderen Seite: Wiederkäuer ernähren sich hauptsächlich von Biomasse, die von Menschen nicht verwertbar ist.

Allerdings kommen aufgrund der ­gestiegenen Leistung der Milch- und Mastrinder auch potenziell lebensmitteltaugliche Futtermittel zum Einsatz (z. B. Getreide). Unter „potenzielle Nahrungsmittel“ versteht man Futtermittel, welche direkt als menschliche Nahrung verarbeitet werden könnten, wie z. B. Getreide. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) diese Charge aufgrund ihrer Qualität oder Quantität tatsächlich kaufen würde.

Ein Bewertungssystem soll zeigen, wie groß der Anteil von verfütterten potenziellen Nahrungsmitteln ist und wie sich das auf die Lebensmittelproduktion auswirkt. Dazu wurde schon vor etwa 20 Jahren eine wissenschaftliche Methode entwickelt unter dem Namen:  heFCE = humen edible feed conversion efficiency  (deutsch: Nahrungsmittel-Konvertierungs-Effizienz).

Wie funktioniert das Rechenmodell?

Das Modell beantwortet die Frage: Wie viel pflanzliche Lebensmittel werden für die Erzeugung von Milch oder Fleisch aufgewendet? Die Berechnung erfolgt nach einer einfachen Formel:

heFCE = kg Milch- oder Fleisch-Protein dividiert durch kg Protein aus potenziellen Lebensmitteln.

Ziel ist ein Wert größer als 1: Dann wird mehr essbares Protein erzeugt als verfüttert. Ein Wert < 1 bedeutet, dass mehr essbares Protein verfüttert als erzeugt wird. Ein Wert kleiner als 1 wäre also negativ zu beurteilen.

Neben Protein wird in der Regel auch die Energie bewertet. Grundsätzlich könnte man das System auch auf andere Inhaltsstoffe ausweiten.

Ziel ist ein heFCE Wert größer als 1: Dann wird mehr essbares Protein erzeugt, als verfüttert.

Die Grundlagen des Systems sind:

  • Nahrungskonkurrenz in Bezug zur Brutto-Energie und zum Rohprotein (Stickstoff-Aufwand).

  • Das Modell dient nur zur Darstellung des mengenmäßigen Aufwandes für ein Produkt (kg essbares Protein oder Bruttoenergie in MJ).

  • Die Qualität von Produkten wird in dem vereinfachten System nicht berücksichtigt. So ist beispielsweise die biologische Wertigkeit bzw. die Aminosäuren-Zusammensetzung von tierischen Proteinen höher, als die von pflanzlichen. Das würde die Nahrungskonkurrenz weiter reduzieren. 

  • Die Einstufung eines Futtermittels als potenzielles Lebensmittel (z. B. Getreide, Sojabohne, Lupine) berücksichtig nicht, ob die verfütterte Charge tatsächlich lebensmitteltauglich ist.

  • Anwendung für alle Tierarten und Produktionsformen möglich.

Welche Faktoren berücksichtigt das Modell?

Das Modell berücksichtigt allerdings nicht, ob das Futter regional oder global angebaut wird und ob die Flächen für den Anbau von Lebensmittel geeignet wären. Außerdem bildet das Modell nicht die Vorgaben der Fruchtfolge sowie regional unterschiedliche Verfügbarkeit von Lebensmitteln ab.

Die Übersicht 1 zeigt, wie die Effizienz der Konvertierung von potenziellen Lebensmitteln (heFCE) berechnet wird. Der Wert von 642 g ergibt sich aus der folgenden Rechnung: 6 kg TM Getreide x 130 g Rohprotein/kg TM x Faktor 0,8.

Übersicht 2 zeigt die Faktoren, welche den Anteil der Nahrungsmitteltauglichkeit widerspiegeln. Diese Faktoren ergeben sich aus wissenschaftlichen Studien und spiegeln den Anteil eines Rohstoffs wider, der tatsächlich als Lebensmittel im Handel landet.

Der Wert für die Effizienz der Konvertierung von 1,4 aus Übersicht 1 ergibt sich aus der folgenden Rechnung: 831 g Milchprotein dividiert durch 642 g nahrungsmitteltaugliches Protein aus der verfütterten Ration. Eine Konvertierungseffizienz von 1,4 für ein Lebensmittel bedeutet, dass 40 % mehr essbares Eiweiß erzeugt als verfüttert wurde! Anders gesagt: Obwohl Getreide verfüttert wird, steigt der Gehalt von essbarem Protein.

Welchen Effekt haben verschiedene Futter-Komponenten?

In der Übersicht 3 hat der LKV Sachsen beispielhaft für sechs theoretische Rationen die Auswirkung auf die Konvertierungseffizienz dargestellt.

Die Rationen 2, 4 und 5 zeigen deutlich den positiven Effekt von einem hohen Grassilage-Anteil und dem Einsatz von Nebenprodukten der Lebensmit­telverarbeitung (Rapsextraktionsschrot, Pressschnitzel). Außerdem zeigen die Beispiele: Sinkt der Getreideanteil, steigt die Effizienz deutlich. Es wird die drei- bis vierfache Menge an Protein erzeugt als verfüttert wird. Aber auch bei Einsatz von Getreide (Ration 1) kann eine gute Effizienz bei Protein erreicht werden. Der Wert 2,1 heißt, dass mehr als doppelt so viel essbares Protein erzeugt wie verfüttert wird.

Zielkonflikt: Heimische Leguminosen vs. Nahrungskonkurrenz

Ration 6 verdeutlicht aber auch: Wenn das Futterprotein aus dem Anbau (einheimischer) Leguminosen stammt, verschlechtert sich die Konvertierungseffizienz. Hier zeigt sich ein Zielkonflikt, welcher in zukünftigen Diskussionen geklärt werden muss. Der Anbau von Leguminosen ist aus Gründen der Fruchtfolge sinnvoll und wünschenswert. Er verbessert die Bodenfruchtbarkeit und ist aus ökologischer Sicht wertvoll. Außerdem kann damit die „Eiweißlücke“ verringert und der Import von Soja reduziert werden.

Andererseits können Ackerbohne, Erbse, Lupine und Sojabohne direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden. Deshalb erhöhen sie den Anteil an potenziell essbarer Biomasse (Protein, Energie) in der Ration.

Wie schneiden Rationen in der Praxis ab?

Im Rahmen einer Praktikumsarbeit in Zusammenarbeit mit der Hochschule  Dresden wurden Daten von sechs Betrieben aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ausgewertet. Die Milchleistung der Herden lag zwischen 36 und 44 kg Milch (Fett 3,7 – 4,2 %, Eiweiß 3,3 – 3,5 %).

In Übersicht 4 sind die Rationen mit den Anteilen an Futtermitteln (in %) angegeben. Bis auf Betrieb 5 sind es vor allem maisbetonte Rationen. Bei allen Betrieben zeigt sich, dass deutlich mehr essbares Protein erzeugt als verfüttert wird. Für die Rationen mit einem hohen Anteil an Nebenprodukten der Lebensmittelindustrie (Pressschnitzel) und höheren Grassilageanteil trifft das auch für die Energie zu.

Diese Beispiele widerlegen das Argument, dass moderne Milchkuhrationen in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehen. Landwirte oder Fütterungsberater können mit dem Modell eigenen Rationen analysieren.

Das vorgestellte System hat somit das Potenzial, die aktuellen Diskussionen um Klimaerwärmung, Ressourcenverbrauch, Nahrungsmittelsicherheit und Nachhaltigkeit mit konkreten Zahlen zu bereichern. Nachweisbare Fakten sind die Grundlage einer vernünftigen und zielführenden Diskussion und ein Gegenmittel zu Halbwahrheiten, Vermutungen und „Fake News“.

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