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Geflügelpest – Das sind die Hürden auf dem Weg zur Impfung

Das Vogelgrippevirus bedroht unsere Geflügelhaltungen inzwischen ganzjährig. In einigen Ländern werden jetzt Vakzine getestet. Ob das Impfen gelebte Praxis wird, bleibt abzuwarten.

Lesezeit: 8 Minuten

Mit dem Einsetzen des Vogelzuges und dem damit zu befürchtenden Anheizen der Virusaktivität hat das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) das Risiko für den Eintrag der Vogelgrippe in Geflügelhaltungen jetzt wieder auf hoch gesetzt.

Nach der weltweit bisher heftigsten Geflügelpestwelle in den Jahren 2021/22 hielten sich die Fälle beim Hausgeflügel in Deutschland in diesem Jahr in Grenzen. Anders hingegen bei den Wildvögeln, hier waren und sind die Kolonie-bildenden Seevögel massiv betroffen, erklärt uns Prof. Timm Harder, Leiter des Nationalen Referenzlabors für Geflügelpest am FLI.

„Getragen wurde die Welle 2022/23 europaweit von den Lachmöwen“, sagt Harder. Das Problem: Diese Spezies ist nicht an die Küste gebunden, sondern dringt auch bis weit ins Landesinnere vor, sofern sie dort ein Gewässer vorfindet.

Virus passt sich ständig an

Nachdem im vergangenen Jahr das H5N1-Virus vom Genotyp AB vorherrschte, hat sich seit Anfang des Jahres das Mischvirus H5N1 vom Genotyp BB durchgesetzt. Es ist aus einer Rekombination von H5N1 AB und einem an Möwen angepassten H13-Virus entstanden. Deshalb „funktioniere“ das Virus so gut in Möwen, sagt Harder.

Einen Geflügelbestand vollständig gegen das Virus abzuschotten ist kaum zu gewährleisten. Ein Grund dafür ist die Wandlungsfähigkeit des hochpathogenen aviären Influenzavirus (HPAIV). Erschwerend kommt hinzu, dass das Virus nunmehr ganzjährig in europäischen Wildvogelpopulationen anwesend ist.

Aviäre Influenzaviren treten in zwei Varianten auf: gering- oder hochpathogen. Es gibt verschiedene Subtypen, die durch zwei Oberflächenproteine bestimmt werden. Das Hämagglutinin (H) tritt in 16 Varianten, die Neuraminidase (N) in neun Varianten auf. Diese können somit in 144 verschiedenen Formen kombiniert und übertragen werden.

Geringpathogene aviäre Influenzaviren der Subtypen H5 und H7 verursachen bei Hausgeflügel, insbesondere bei Enten und Gänsen, kaum oder nur milde Krankheitssymptome. In diesem Fall spricht man von schwachpathogener Aviärer Influenza oder auch Vogelgrippe (LPAI). Allerdings können diese Viren auch zu einer hochpathogenen Form mutieren, die sich dann als hochpathogene Aviäre Influenza (HPAI), umgangssprachlich Geflügelpest, zeigt.

Fokus auf Biosicherheit

Das Bewusstsein der Geflügelhalter für die Biosicherheit ihrer Herden war immer schon groß und ist in den vergangenen Jahren nochmal gewachsen. Eintrags- und Austrittsmöglichkeiten des Virus wurden minimiert und Hygienemaßnahmen intensiviert.

Eine Untersuchung der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Cloppenburg hat ergeben, dass die Geflügelpest eher bei hofnahen Ställen ausbricht. Dies zeigt, dass die Biosicherheit besser wird, wenn der Stall in gewisser Entfernung zum Hof liegt.

Auch die Art und Anordnung der Tränken in Putenställen wurde in der Untersuchung als Risikofaktor eingestuft. Befinden sich im Stall bei offener Bauweise mit Jalousien Glockentränken an den Außenwänden, kann das Virus möglicherweise leichter ins Tränkwasser gelangen. Dann ist die Gefahr der Infektion viel größer, weil alle Tiere irgendwann trinken.

Die Aviäre Influenza ist eine systemische Erkrankung mit Beteiligung der Atemwege, bei der vom Tier Schleim gebildet wird. Taucht der Schnabel eines infizierten Tieres in die Tränke ein, wird der Schleim und damit auch das Virus an das Wasser abgegeben. So können sich weitere Tiere infizieren.

Aufstallpflicht kostet Nerven

100 %ige Sicherheit können auch die besten Biosicherheitsmaßnahmen nicht bieten, gerade bei Offenstall- oder Freilandhaltungen. Immer häufiger und länger verordnete Aufstallgebote belasten Hühner und Geflügelhalter, die dann eine intensivere Beschäftigung der Tiere sicherstellen müssen, um ausuferndes gegenseitiges Picken zu verhindern. Und dann sind da noch die Hobby- und Rassegeflügelhalter, die über eine Aufstallpflicht häufig sehr verärgert sind. Deshalb halten manche die Impfung gegen die Geflügelpest inzwischen für unumgänglich.

Fünf Impfstoffe jetzt im Test

Das FLI auf der Insel Riems (Mecklenburg-Vorpommern) steht kurz vor dem Start von Impfversuchen. Fünf Impfstoffe von vier Unternehmen, die bereits auf dem Weltmarkt angeboten werden, sollen dort diesen Herbst an Gänsen getestet werden. Diese Impfstoffe sind nach Aussagen von Harder mit Impfantigenen ausgestattet, die sehr eng mit dem aktuell zirkulierenden Virus verwandt sind oder eine breitere Immunität induzieren. Alle Impfstoffe gelten technisch als sicher in der Produktion und Anwendung.

Die Fähigkeit, eine Immunreaktion gegen den aktuell zirkulierenden HPAIV H5-Genotypen auszubilden, ist gewährleistet.

In einem Vorversuch werden jeweils zehn Junggänse mit einem Wirkstoff geimpft. Die Ausbildung der Immunität wird daraufhin mittels Bestimmung des Antikörpergehaltes untersucht. Die beiden Impfgruppen mit der vielversprechendsten Immunantwort werden anschließend in Hochsicherheitstierställen des FLI einer Belastungsinfektion mit einem hochpathogenen H5N1 Geflügelpestvirus unterzogen.

Durch dieses sogenannte „Challenge“-Experiment wird sich klären, ob die Tiere klinisch vor Erkrankung geschützt sind oder aber bei inkompletten Schutz erkranken oder sogar sterben. Außerdem soll anhand von Tupferuntersuchungen geklärt werden, bei welchem der beiden Impfstoffkandidaten es zu einer deutlichen Verminderung der Virusausscheidung kommt. Erste Ergebnisse sind noch vor Weihnachten zu erwarten.

Für das kommende Jahr ist ein Langzeitversuch mit dem am besten geeigneten Impfstoff vorgesehen. Die Ergebnisse der Studie stellen daher nach Aussagen von Harder die Grundlage dar, um die Leistungsfähigkeit einer HPAI H5-Impfung beurteilen zu können. Für die Beurteilung spielt neben dem Schutz vor Krankheit insbesondere die Sicherheit vor Virus-Verbreitung durch geimpfte Herden eine entscheidende Rolle.

Als wichtig für diese Schutzwirkung gilt eine gute Übereinstimmung des Impfstoffes mit dem aktuell zirkulierenden Virus. In die Bewertung wird aber auch einfließen, wie wahrscheinlich eine Zulassung und der Verkauf des Impfstoffs in Europa überhaupt ist. Es bleibt abzuwarten, welche Hersteller überhaupt ein Interesse an einer Zulassung in Europa haben.

An der Tierärztlichen Hochschule in Hannover waren Versuche mit Puten angedacht, die jedoch vorerst nicht durchgeführt werden sollen. Dazu müsste, erläutert Harder, ein gentechnischer Freisetzungsversuch angemeldet werden. Die betroffene Tierhaltung gilt dann als gentechnische Anlage und müsste entsprechend gekennzeichnet werden. Zudem sind die Produkte aus dieser Haltung nicht verkehrsfähig. „Das haben wir bei uns für nicht umsetzbar gehalten“, sagt Harder.

In den Niederlanden wurden kürzlich erstmals 1.800 Eintagsküken im Feldversuch gegen die Vogelgrippe geimpft. Die Legehennen werden auf zwei Betrieben gehalten. Zuvor hatten Laborversuche gezeigt, dass zwei Vektorimpfstoffe einen vollständigen Schutz der geimpften Hühner induzieren und die Ausbreitung des Virus verhindern konnten. Die Produkte der geimpften Hühner werden nicht vermarktet.

In Frankreich ist am 3. Oktober die landesweite Impfkampagne von Enten gestartet. Japan hat daraufhin bereits angekündigt, kein Geflügelfleisch mehr aus Frankreich zu importieren. Andere Länder könnten eine ähnliche Haltung zum Impfen einnehmen, so Harder. Der Handel mit Drittstaaten sei ein großes Hemmnis beim Impfen. „Die Folgen sind nicht absehbar“, macht Harder deutlich. Die USA werde keinesfalls impfen, weiß er. Die Experten dort gehen derzeit davon aus, in der Folge 25 % des Marktes aufgrund des einbrechenden Exports zu verlieren.

Impferfolg eng ­überwacht

Aufwendig und kostenintensiv ist auch die von der EU vorgeschriebene Überwachung einer AI-Impfung. Monatlich muss ein Amtstierarzt den Bestand begutachten und 60 Tupferproben aus dem Rachen und der Kloake ziehen. Diese werden mittels PCR auf Viruspartikel untersucht. Erforderlich ist dies, bis das letzte Tier den Stall verlassen hat. Diese Vorschrift müsste auch bei Rassegeflügel umgesetzt werden.

Die Geflügelbranche hat bereits mehrfach den Wunsch nach einem Markerimpfstoff geäußert, tatsächlich aber zielen die EU Vorschriften aktuell auf einen Ausschluss einer aktiven Infektion in Impfbeständen, der nur mittels PCR geführt werden kann. Nichtsdestotrotz haben einige der zu testenden Impfstoffe auch Markerqualitäten, sodass parallel auch die Prüfung des Impfstatus der Tiere durch kosten­günstigere Blutuntersuchungen möglich wäre.

Wenn irgendwann in großem Umfang geimpft werden sollte, müsse man zur PCR-Analyse Alternativen erwägen, meint Harder. Statt individueller Tupferproben vom Tier wäre ein im Cloppenburger Raum initiiertes Tränkwassermonitoring denkbar, für das es bei Puten erfolgversprechende Ansätze gibt. Auch Sockenproben wie beim Salmonellenscreening würden Probenzahl und Kosten senken. Dazu fehlen jedoch aktuell verlässliche Ergebnisse aus Validierungsuntersuchungen und daran müsse Europa in den nächsten zwei Jahren arbeiten, sagt Harder. „Wir müssen viel investieren, um die Sicherheit zu erhalten“, betont er.

Es gilt noch einen Aspekt zu beachten: Erfolgt die Impfung nicht sachkundegerecht, besteht die Möglichkeit, dass man keine homogen gut geschützte Herde erhält, sondern fleckige, gemischte Herden. „Das ist der Ursprung mutierter Viren, die die Impfimmunität umgehen“, warnt Harder. Genau dies sei die Sorge des Handels, der befürchtet, dass mit dem Kauf von geimpftem Geflügelfleisch womöglich auch das Virus gleich mitgeliefert werde. Um eine professionelle Durchführung zu gewährleisten, hat Frankreich spezielle Impfstofftrupps eingerichtet.

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Die Gefahr für den ­Menschen steigt

Mehrfach wurde bei Säugetieren wie Robben, Nerzen oder Füchsen das H5N1-Virus nachgewiesen. Dies stellt Harder zufolge für das Geflügel kein zusätzliches Problem dar. Es könnte aber für uns Menschen wichtig werden. Mit jeder weiteren Infektion einer neuen Tierart zieht das Virus ein neues Los, wie Harder es beschreibt.

Bisher blieb HPAIV H5 im Marder oder Fuchs stecken, wurde also nicht von Tier zu Tier weitergegeben. Jedoch vermehrt sich das Virus im Tier in mehreren Zyklen und dabei kann eine Anpassung durch Mutation erfolgen. „Wenn es schon mal in Säugetieren steckt und dort weiter übertragen würde, dann ist der Schritt zum Menschen wesentlich kleiner als vom Huhn zum Menschen“, macht Harder deutlich. Noch hat das Virus sehr geringe zoonotische Eigenschaften. 2020 sind weniger als zehn humane ­Infektionen mit mildem bzw. asymptomatischen Verlauf in Europa und Nordamerika aufgetreten. Schwere Verläufe gab es jedoch in Ecuador und Chile.

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