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Renaissance der Fermentation

Alles, was fermentiert ist, wird vom Verbraucher als gesund wahrgenommen, sagt Dr. Christian Hertel vom DIL, Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V. Nur ein Trend, der vorbeizieht? Wohl kaum.

Lesezeit: 4 Minuten

Das Thema Fermentation von sogenannten Pilzmyzelen ist derzeit in aller Munde. Was das ist, wieso die fermentierten Lebensmittel gesundheitlich zuträglich sein können und ob in diesem Technologiefeld Chancen für die Landwirtschaft schlummern, besprechen wir im Interview mit Dr. Christian Hertel, Leiter Biotechnologie am DIL, Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V. und verantwortlich für das Handlungsfeld Lebensmittelbiotechnologie bei der LI Food - Landesinitiative Ernährungswirtschaft.

Das Interview mit Dr. Christian Hertel

Fermentation ist nichts Neues. Dennoch wird sie derzeit in der Foodbranche gehypt. Was hat sich geändert?

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Dr. Christian Hertel: Weltweit findet eine Renaissance der Fermentation statt. Weil alles, was mit Fermentation zu tun hat, vom Verbraucher als natürlich und gesund wahrgenommen wird, versuchen Unternehmen, fermentierte Produkte auf den Markt zu bringen. Neu daran sind zwei Entwicklungen: Biomassefermentation und Präzisionsfermentation.

Was ist was?

Hertel: Bei der Präzisionsfermentation geht es darum, komplexe organische Verbindungen herzustellen. Das Potenzial ist aus der LI Food Studie ersichtlich. Das Start-up Formo Bio nutzt z. B. maßgeschneiderte Mikroorganismen zur fermentativen Produktion von Milchproteinen wie Casein und Molkeproteine. Daraus entsteht ein Käseersatz.

Die Liste guter Eigenschaften ist lang.
Dr. Christian Hertel

Bei der Biomassefermentation wird möglichst viel Biomasse hergestellt, um sie in Lebensmittel einzubringen oder Proteine bzw. Lipide daraus zu gewinnen. Letzteres passiert etwa bei den Start-ups Infinite Roots oder Kynda Biotech. Hier sind es Pilzmyzele, die Nebenströme aus der Agrarindustrie zu einer Masse fermentieren, mit der man Fleischersatz aufwertet. Deshalb beschäftigen wir uns am DIL mit dem Upcycling von Nebenströmen.

Fleischersatz besser machen

Inwiefern werten Pilzmyzele Fleischersatz auf?

Hertel: Weil die gesamte Biomasse des Pilzes und nicht nur dessen Protein verarbeitet wird, trägt die Myzelmasse die Eigenschaften des Pilzes in sich. Sie ist damit gegenüber einem rein pflanzlichen Fleischersatz im Vorteil, da sie alle essentiellen Aminosäuren enthält und textur- und strukturbildende Eigenschaften mitbringt. Wenn ich einen pflanzlichen Fleischersatz als Bratwurst grillen will, muss ich Stabilisatoren bzw. Verdickungsmittel zugeben, damit sie stabil bleibt. Pilzmyzel kann hier strukturunterstützend wirken. Myzel enthält außerdem u. a. Beta-Glucan, das einen positiven Effekt auf die Darmgesundheit hat. Die Liste guter Eigenschaften ist lang.

Bei einem berühmten fermentierten Produkt, Sauerkraut, braucht es aber doch auch keine Pilzmyzele. Wieso jetzt? Wo liegt der Unterschied?

Hertel: Es sind eben die Pilze, die aus Nebenströmen erst etwas Essbares herstellen. Sie können Erbsenstärke oder Biertreber, die aus Ernährungssicht für den Menschen nicht wertvoll sind, zu hochwertigen Lebensmitteln umwandeln. Die Pilze starten den Prozess. Der Mensch kann ihn aktiv kontrollieren.

Neues Geschäftsfeld für die Landwirtschaft?

Es heißt, die Biomassefermentation könnte für landwirtschaftliche Betriebe interessant werden. Wieso?

Hertel: Das könnte damit zusammenhängen, dass bei der Biomassefermentation neuerdings sogenannte Basidiomyceten, also Ständerpilze, zum Einsatz kommen. Diese können auf Nebenströmen der Agrar- und lebensmittelverarbeitenden Industrie wachsen und diese zu wertvollen Lebensmitteln umwandeln. Einige Start-ups sehen hier eine Chance, die Produktion dezentral in der Agrarbranche zu etablieren. Der Nachhaltigkeitseffekt wäre dabei am größten. Die Lebensmittel würden dort produziert, wo die Nebenströme anfallen.

Ohne Zucker wächst keine Zelle. Wo soll der herkommen, wenn nicht aus der Landwirtschaft?
Dr. Christian Hertel

Bei vielen der transformativen Innovationen im Ernährungsbereich werden Landwirte ihren Platz finden. Dazu bedarf es vielleicht etwas Flexibilität. Aber der Landwirtschaft werden sehr tragfähige Aufgaben zukommen. Selbst In-Vitro-Fleisch braucht Stammzellen. Und ohne Zucker wächst keine Zelle. Wo soll der herkommen, wenn nicht aus der Landwirtschaft?

Ist die Technologie, aus Ständerpilzmyzelen Lebensmittel zu fermentieren, generell praxisreif?

Hertel: Grundsätzlich steht der Prozess und lässt sich schnell aufbauen. Aber als neuer Prozess muss er aus ökonomischer Sicht noch optimiert werden. Im Gegensatz dazu ist die Fleisch-, Milch- und Getreideerzeugung ja seit Jahrzehnten optimiert! Die Prozesse sind eingespielt und werden zum Teil subventioniert. Also werden Produkte aus Pilzmyzel anfangs teurer sein. Bei ihnen kurzfristig gleiche Preise zu erwarten, wäre unrealistisch.

Erst Soja, dann Erbse, jetzt Pilzmyzel – anhaltender Trend oder nur die nächste Sau, die durchs Dorf gejagt wird?

Hertel: Irgendwas wird immer gehypt. Aber die Ständerpilze wachsen auf schwer verwertbaren Stoffen und bringen gesundheitlich zuträgliche Eigenschaften mit. Pilze haben in der Geschichte des Menschen immer schon eine Rolle gespielt. Persönlich denke ich, das Potenzial der Pilze ist groß genug, um zu bleiben. 

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