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Landwirte erwarten 2024 keinen Engpass bei den Erntehelfern

Voraussichtlich werden 2024 etwas weniger als 270.000 Erntehelfer in Deutschland benötigt. Laut Arbeitgeberpräsident Wichert haben viele Betriebe verstärkt in ihre Unterkünfte investiert.

Lesezeit: 9 Minuten

Der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA), Hans-Benno Wichert, über die Folgen steigender Lohnkosten für die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Obst- und Gemüseanbaus, einen wertschätzenden Umgang mit Saisonbeschäftigten und einen steigenden Arbeitnehmeranteil in der Landwirtschaft.

AgE: Herr Präsident Wichert, mit welchen Erwartungen gehen die 25.000 Obst- und Gemüsebaubetriebe in die Saison 24? 

Wichert: Viele mit gemischten Gefühlen. Die Sorge ist groß, dass man aufgrund steigender Lohnkosten dem Wettbewerbsdruck durch im Ausland zu günstigeren Konditionen produzierte Ware nicht standhalten kann und deshalb die Produktion reduzieren oder ganz einstellen muss. Zudem sehen sich die Betriebe mit ihren existenziellen Ängsten von der Politik nicht wahrgenommen.

Bestätigen sich denn Befürchtungen, dass der Anbau von Obst und Gemüse infolge schwieriger Bedingungen und der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns zurückgeht? 

Wichert: In einigen Bereichen ist bereits tatsächlich ein Rückgang im Anbau zu verzeichnen, etwa im Spargelanbau. Mit steigendem Mindestlohn und Sozialabgaben wächst auch die Gefahr, dass sich dieser Trend bei anderen Kulturen mit hohem Arbeitsbedarf fortsetzt.  

Nach den Rückmeldungen, die Ihnen vorliegen - können die Betriebe den Bedarf an Erntehelfern derzeit decken? 

Wichert: Wie im Vorjahr gibt es aktuell keine Anzeichen, dass den Betrieben nicht ausreichend Erntehelfer zur Verfügung stehen. Im vergangenen Jahr haben sich allerdings im Verlauf teilweise Engpässe ergeben. Dies lag häufig daran, dass Saisonkräfte vorzeitig die Arbeit beendet haben, weil sie aufgrund des hohen Mindestlohns den angestrebten Verdienst schon nach kürzerer Zeit erzielt hatten. Das ist für die Betriebe ein großes Problem. Denn dann muss schnell Ersatz gefunden werden. 

Was schätzen Sie, wie hoch ist der Gesamtbedarf in diesem Jahr? 

Wichert: Das ist schwer zu sagen, da er von vielen Faktoren beeinflusst wird, etwa der schon angesprochenen Flächenreduzierung, der zunehmenden Technisierung von Arbeitsabläufen, vorzeitigen Arbeitsbeendigungen etc. Vermutlich werden etwas weniger als 270.000 Saisonkräfte benötigt. 

Der Löwenanteil der Saisonarbeitskräfte kam in den letzten Jahren aus Rumänien. Daran wird sich vermutlich auch 2024 nichts ändern. Spielen Geflüchtete aus der Ukraine eine Rolle? 

Wichert: Der überwiegende Teil der Saisonkräfte wird sicherlich weiterhin aus Rumänien kommen. Vereinzelt haben Betriebe berichtet, dass verstärkt auch wieder polnische Arbeitskräfte eine Saisonbeschäftigung in der Landwirtschaft nachfragen. Ukrainische Flüchtlinge hatten und haben bislang dagegen keine große Bedeutung für die landwirtschaftliche Saisonarbeit.

Dennoch sehen Sie Bedarf für Abkommen mit weiteren Drittstaaten? 

Wichert: Auch wenn es aktuell keinen großen Mangel an Saisonkräften gibt und die Kontingente für Saisonkräfte aus den beiden Abkommenstaaten Georgien und Moldawien nicht gänzlich ausgeschöpft sind,  würden wir uns eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes für Angehörige aus anderen Drittstaaten, vor allem aus dem asiatischen Raum, wünschen.

Warum? 

Wichert: Wir haben gesehen, wie schnell polnische Saisonkräfte nicht mehr zur landwirtschaftlichen Saisonarbeit nach Deutschland kamen. Deshalb ist es wichtig, nicht gänzlich auf rumänische Saisonkräfte abzustellen, sondern auch Kontakte in andere Staaten aufzubauen.

Wir hatten gehofft, dass mit der seit dem 1. März geltenden Regelung zur sogenannten kurzzeitigen kontingentierten Beschäftigung auch für landwirtschaftliche Saisonarbeit eine Möglichkeit zur Beschäftigung aus anderen Drittstaaten besteht. Allerdings ist der für uns wichtige Bereich der Erntetätigkeiten aus dem Anwendungsbereich der neuen Regelung ausgeschlossen.  Hier sind wir weiterhin auf den Abschluss zwischenstaatlicher Abkommen angewiesen. 

Mit der beginnenden Spargelernte rückt das Thema Saisonarbeit in den Fokus der medialen Berichterstattung, meistens mit Negativbeispielen. Wie stellt sich Ihr Verband darauf ein? 

Wichert: Wir versuchen weniger, uns auf Fälle der Aufdeckung möglicher Missstände vorzubereiten. Vielmehr setzen wir zusammen mit unseren Mitgliedsverbänden auf eine gute Information und Unterstützung der Betriebe, damit es erst gar nicht zu negativen Fällen kommt. 

Was können die Betriebe tun, außer die geltenden Vorschriften einzuhalten und ihren Leuten vernünftige Bedingungen zu bieten? 

Wichert: Aus meiner Sicht ist neben dem Einhalten geltender Vorschriften und dem - wie Sie es nennen - Anbieten vernünftiger Bedingungen, also guter Arbeits- und Unterkunftsbedingungen, ein wertschätzender Umgang wichtig - auch bei Arbeitskräften, die nur kurzzeitig auf dem Hof sind. 

Die Unterbringung der Saisonkräfte habe sich insgesamt verbessert, räumt auch die IG BAU ein. Gehören prekäre Verhältnisse der Vergangenheit an? 

Wichert: Das kommt ganz darauf an, was Sie mit prekären Verhältnissen meinen. Wenn Sie damit schlechte oder unzumutbare Unterkunftsbedingungen meinen, hoffe ich sehr, dass diese tatsächlich der Vergangenheit angehören. Was ich so höre, haben viele Betriebe nicht erst, aber verstärkt auch in der Corona-Pandemie in ihre Unterkünfte investiert. Denn eine gute Erholung und guter Schlaf sind bei der meist körperlich anstrengenden Saisonarbeit enorm wichtig. 

Dass es in den Reihen der Betriebe „schwarze Schafe“ gibt, sei „bedauerlich, aber Realität“, so eine frühere Aussage von Ihnen. Trotzdem die Frage, was tun Sie gegen „schwarze Schafe“? 

Wichert: Informieren und aufklären! Es ist als Betrieb wichtig, immer up to date zu sei, was die Bestimmungen zur Beschäftigung von Saisonkräften anbelangt. Nicht immer sind „schwarze Schafe“ böswillig, sondern nur unzureichend informiert, etwa über die Mindestgröße- und -ausstattung von Unterkünften, Möglichkeiten und Einschränkungen, Kosten der Unterkunft vom Lohn abzuziehen, etc. Dort, wo bewusst gegen Vorschriften verstoßen wird, machen wir insbesondere auch auf die verheerenden Folgen für den gesamten Berufsstand aufmerksam und machen - auch nach außen - deutlich, dass wir dies nicht gutheißen. Da versuchen wir auch, nichts zu beschönigen.

Sie haben wiederholt die Gewerkschaftsforderung zurückgewiesen, kurzfristig Beschäftigten den vollen Krankenversicherungsschutz zu gewähren. Erwarten Sie eine Initiative der Bundesregierung noch in der laufenden Legislaturperiode? 

Wichert: Nun ja, die Koalition hat Entsprechendes im Koalitionsvertrag vereinbart, so dass mit einer entsprechenden Vorlage zu rechnen ist. Wir haben versucht, die negativen Konsequenzen eines vollen Krankenversicherungsschutzes, was wohl eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung meint, nicht nur für die Arbeitgeber, sondern auch für die Saisonkräfte, aufzuzeigen. 

Was wäre die Folge, sollten Saisonbeschäftigte gesetzlich krankenversichert werden müssen? 

Wichert: Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer wären mit Kosten in Höhe von durchschnittlich mindestens 8,15 % des Bruttolohns belastet. Bei einer Beschäftigung zu Mindestlohnbedingungen mit 40 Stunden in der Woche wären dies je 175 € im Monat, bei 48 Wochenstunden 210 €. Bei höheren Vergütungen natürlich noch mehr.

Ärgerlich ist dabei, dass die Saisonkräfte viele Leistungen dieses vollen Krankenversicherungsschutzes gar nicht in Anspruch nehmen können. Sie sind nur während Ihrer Beschäftigung in Deutschland versichert. In dieser Zeit arbeiten Sie, können folglich zum Beispiel keine mehrwöchige Reha-Maßnahme machen oder die vielfältigen Vorsorgeuntersuchungen  nutzen.

Die meisten möchten - außer es ist wegen einer akuten Erkrankung erforderlich - auch nicht in Deutschland zum Arzt gehen, sondern lieber im Heimatland. Wichtig ist für sie im Wesentlichen eine gute Absicherung bei Akuterkrankungen. Und eine solche bieten die privaten Gruppenkrankenversicherungen, die seit vielen Jahren für ausländische Saisonkräfte für die Dauer der Beschäftigung in Deutschland abgeschlossen werden.  

Private Gruppenversicherungen sind seit dem 1. Januar 2022 Pflicht. Werden die gängigen Versicherungen den Mindestanforderungen gerecht? 

Wichert: Wenn mit Mindestanforderungen eine gute ärztliche und zahnärztliche Behandlung im Krankheitsfall oder nach einem Unfall gemeint ist, auf jeden Fall! 

Teilweise sehen die Gruppenversicherungen einen Eigenanteil der Versicherten vor. Muss es höhere Anforderungen geben? 

Wichert: Die gängigen Versicherungen sehen meines Wissens nach nur teilweise einen Eigenanteil vor, und das auch nur in geringer Höhe. Selbst wenn diese Selbstbeteiligung zu zahlen ist, liegen die Gesamtkosten noch deutlich unter den monatlichen Kosten, die ein Saisonarbeitnehmer bei Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen hätte. 

Eine Voraussetzung für kurzfristige Beschäftigung ist, sie darf nicht berufsmäßig ausgeführt werden. Die Rentenversicherung überprüft dieses Kriterium inzwischen strenger als früher. Was ist der Hintergrund? 

Wichert: (Lacht) Das müssten Sie eigentlich die Rentenversicherung fragen! Problematisch war wohl, dass viele der ausländischen Saisonkräfte Hausfrauen und Hausmänner waren. Dabei lässt sich das leicht damit erklären, dass viele Betriebe aus Kostengründen speziell auch nach diesen Personen gesucht haben. Zudem können diese Personen - anders als etwa Erwerbstätige - für ein paar Wochen eine Beschäftigung im Ausland ausüben.  

Sie fordern eine gesetzliche Klarstellung. Wie sollte die aussehen? 

Wichert: Am Einfachsten wäre es natürlich, man würde das Kriterium der fehlenden Berufsmäßigkeit gänzlich streichen und eine kurzfristige Beschäftigung bei Einhaltung der Zeitgrenzen gewähren. Man könnte beispielsweise zur Klarstellung eine Entgeltgrenze einführen. Der Einfachheit halber könnte man dabei auf die Werte zugreifen, die bei Pauschalbesteuerung einer kurzzeitigen Beschäftigung im Steuerrecht gelten. Das wären 120 Euro je Arbeitstag. Gerechnet auf eine Beschäftigungsdauer von drei Monaten dürften dann insgesamt maximal 9.360 Euro verdient werden.   

Landwirtschaftliche Betriebe stehen im Wettbewerb mit anderen Branchen um gute Arbeitskräfte. Welche Rolle spielt die Entlohnung?

Wichert: Dem Faktor Entlohnung kommt sicherlich eine große Bedeutung zu. Andererseits bieten die klassischen Feldarbeiten auch Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit, die in vielen anderen Tätigkeitsbereichen keine Anstellung finden würden. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn mir Betriebe von dem großen Anteil von Saisonkräften berichten, die nicht lesen oder schreiben können.  

Mit welchen Argumenten können die Betriebe sonst noch punkten? 

Wichert: Wenn es um Saisonarbeit geht, sind die geringen Anforderungen an Sprache und Bildung sicherlich ein Plus gegenüber anderen Branchen. Viele finden auch das Arbeiten in und mit der Natur reizvoll. Das gilt auch im qualifizierten Bereich, wo daneben beispielsweise auch noch die Möglichkeit flexibler Arbeitszeitmodelle eine wichtige Rolle spielt. 

Der Arbeitskräftemangel in Deutschland und das anhaltende Wachstum der Betriebe haben die Nachfrage nach ganzjährig Beschäftigten ansteigen lassen. Wie stark ist der Trend, aus dem Pool der Saisonkräfte festangestellte Arbeitnehmer zu gewinnen? 

Wichert: Gute Saisonarbeitskräfte ganzjährig zu beschäftigen, ist kein neuer Trend. Betriebe, die ganzjährig Bedarf haben, haben seit der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes diese Möglichkeit genutzt, wenn die Arbeitskräfte bereit waren, auch ganzjährig in Deutschland zu arbeiten. Soweit die Familien nicht mit nach Deutschland ziehen, werden gute Arbeitszeitmodelle gefunden, die den Arbeitnehmern regelmäßig längere Heimataufenthalte ermöglichen. 

Wird der Arbeitnehmeranteil in der Landwirtschaft weiter steigen? 

Wichert: Die Tendenz, dass Betriebe wachsen, führt auch dazu, dass die Mehrarbeit nicht mehr allein von der Landwirtsfamilie bewältigt werden kann und fremde Arbeitskräfte benötigt werden. Wenn die Betriebe nicht wegen steigender Kosten, fehlender Planbarkeit etc. aus der Produktion aussteigen und Arbeitskräfte verfügbar sind, wird die Beschäftigung in der Landwirtschaft sicherlich zunehmen. 

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