Erst fährt sich die top agrar-Redakteurin auf dem Weg ins Moor fest. Dann reicht ihr das Wasser auf der bereits wiedervernässten Fläche in Niedersachsen ganz schnell bis knapp unter die Gummistiefel-Oberkante. Um sich das versprochene Torfmoos an einigen Stellen des Schlags dennoch trockenen Fußes ansehen zu können, muss wieder ein Umweg her. Ist das die Art, wie die Diskussion um nasse Moore läuft? Sackgassen statt gut ausgeschilderter Verbindungen?
Die Politik hat sich jedenfalls auf den Weg gemacht. Die Wiedervernässung der Moore soll helfen, die Klimaziele zu erreichen und die jährlichen Emissionen aus entwässerten Moorböden bis 2030 um 5 Mio. t CO2-Äquivalenten zu reduzieren. Da sich auf wiedervernässten Flächen allerdings keine konventionelle Landwirtschaft betreiben lässt, haben betroffene Betriebsleiter wie Milchviehhalter Tim Müller (hier im Interview) naturgemäß eine eigene Sichtweise auf die Pläne der Politik.
Die Gründer des Start-ups ZukunftMoor, Paul Waldersee, Lucas Gerrits, Julia Kasper, Florian Forstmann und Niko Waesche wollen Moorlandwirten künftig ein alternatives Geschäftsmodell anbieten. Dazu müssen sie erst noch beweisen, dass sich mit Torfmoosanbau und dessen Vermarktung in die Erdenindustrie Geld verdienen lässt. Genau das soll auf der oben genannten Fläche in den nächsten Jahren passieren.
Torfmoosanbau: Diese Deckungsbeiträge sind möglich
„Unser Ziel ist es, die Landwirtschaft auf nassen Moorflächen, die Paludikultur, als rentables Geschäftsmodell und damit als Alternative zur Landwirtschaft auf trockengelegten Moorböden zu etablieren“, sagt Paul Waldersee. „Aber derzeit ist es für Landwirte das Sicherste, erstmal auf unseren Beweis zu warten – und dann gern einzusteigen.“
Wir sind nicht gegen Milcherzeugung oder Ackerbau. Wir wollen eine Lösung für jetzige Problemflächen bringen, über die sich der Landwirt sowieso jeden Tag ärgert."
Bisher ist weder der Anbau von Torfmoos im großen Stil erprobt, noch gibt es Wertschöpfungsketten für sogenannte Paludiprodukte, also Produkte aus Torfmoos, Schilf, Rohrkolben & Co. wie etwa Bau-, Dämm- oder Verpackungsmaterial. In wissenschaftlichen Projekten werden zwar Forschungsgelder zu deren Erprobung ausgegeben. Aber kaum eine Initiative könnte sich bislang wohl eigenständig tragen.
Vermarktung als Torfersatz in Gartenerde
Das will ZukunftMoor ändern und zäumt das Pferd in Sachen Wertschöpfungskette von hinten auf. Zuerst hat sich das Team einen Markt mit einem bestehenden Bedarf gesucht und die Erdenindustrie gefunden. Jetzt muss es die Herausforderung der Torfmooserzeugung vorne in der Kette lösen.
Gartenerde besteht zum großen Teil aus Torf. Diesen abzubauen setzt CO2 frei. Die Vorgehensweise ist umstritten und wird gemäß Klimaschutzplan der Bundesregierung im Hobbygartenbereich und im GaLaBau „stark vermindert werden“. Torfmoos kann den Torfanteil in der Erde nachweislich ersetzen, wird bislang aber importiert. Torfmoosanbau vor Ort könnte nicht nur ein regionales Angebot entgegensetzen, sondern auch für Landwirte rentabel werden, so der Plan des Start-ups.
„Der erste Erdenhersteller hat uns die Abnahme mit festen Preisen in Aussicht gestellt“, sagt Waldersee. Auf den genannten Preisen basiert der Businessplan des Start-ups. Der darin erhoffte Deckungsbeitrag variiert im Best- oder Worst-Case-Szenario im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich, je nach z. B. Ernteerträgen und Maschinenauslastung. Fördermittel oder Einnahmen durch den potenziellen Handel von Klimazertifikaten seien nicht eingerechnet. Mögliche GAP-Förderungen wären unter Umständen möglich, da Torfmoos auf der Zoll-Liste als landwirtschaftliche Nutzpflanze erfasst ist.
Einmalige Investition: 10.000 bis 60.000 Euro pro Hektar
„Erstmal müssen wir uns und den Landwirten zeigen, dass es geht“, sagt Waldersee. Und dafür ist einiges an Abstimmung in der Fläche – und mit den Behörden – notwendig. Aktuell steht das Team in konkreten Verhandlungen mit dem Eigentümer der besuchten Fläche, der aus persönlichen Gründen verkaufen will. Nach dem regenreichen Herbst steht das Wasser zum Reportagetermin im Dezember etwa 10 bis 20 cm hoch.
Wichtig: Bei den Flächen handelt es sich um Hochmoor. Auf Niedermoorflächen ist Torfmoosanbau nicht möglich.
„Im Jahr 2024 wollen wir 25 ha kaufen und wiedervernässen“, sagt Waldersee. Noch ist allerdings nichts unterzeichnet, daher bleiben Landkreis und Flächeneigentümer vorerst anonym.
Die technischen Entwürfe für die Wiedervernässung erarbeitet das Start-up mithilfe eines Wasserplanungsbüros, sogenannten Hydrologen. Vorgesehen ist, auf der Pilotfläche zwei Terrassen anzulegen, die das Gefälle von etwa 1,85 m ausgleichen. Wäre der Schlag ein normaler Acker, wäre die Schräge kaum aufgefallen. Hier allerdings eignet sich eine mittig liegende Erhöhung für die Begrenzung der ersten Terrasse. Um immer einen ausreichenden Wasserstand sicherstellen zu können, plant das Team aktuell mit einem Wasserrückhaltebecken. Das dort anfallende Regenwasser schleust eine Pumpe wieder nach oben. Damit wäre der Schlag theoretisch für Dürrejahre gewappnet.
„So individuell wie hier muss jede Torfmoosanbaufläche erst in die Landschaft gebaut werden“, sagt Waldersee. Die einmaligen Investitionskosten pro ha beziffert der Agrarier auf Grundlage wissenschaftlicher Versuchsflächen des Greifswald Moor Centrum (GMC) mit 10.000 bis 60.000 €, je nach den Bedingungen vor Ort.
Ernte mit Kettenfahrzeug
Sind die Flächen wiedervernässt, soll Mitte 2024 ausgesät werden. Das Saatgut lässt das Team in einem Gewächshaus vermehren. Bis zur ersten Ernte würden drei Jahre vergehen. Ein Kettenfahrzeug des Unternehmens Mera-Rabeler, das auf Pistenbulliumbauten spezialisiert ist, soll die Fläche mit einem Bodendruck von nur 50 g/cm2 vertikutieren, also direkt über das Torfmoos fahren können. Zum Vergleich: Ein Maishäcksler hat einen Bodendruck von etwa 700 g/cm2.
Die Anlage von Fahrdämmen, wie z. B. im niedersächsischen Torfmoos-Pilotprojekt im Hankhauser Moor vorgesehen, entfällt damit.
Die Wissenschaft rechnet mit einem Ertrag von 150 m3/ha. „Beim Torfmoos reden wir von einer natürlichen Dauerkultur“, sagt Waldersee. „Eine Bedeckung mit Torfmoos ist sozusagen das Endstadium der Sukzession, d. h. der Wiederherstellung des Moor-Ökosystems mit Nutzung.“ Düngung und Pflanzenschutz sind nicht vorgesehen.
Geerntet wird im Herbst außerhalb der Brut- und Setzzeiten. Der Erdenhersteller braucht das Produkt im Herbst, der Endkunde im Frühjahr. Das Unternehmen bestellt eine gewisse Feuchte, die ZukunftMoor garantieren muss. Außerdem ist eine Bedampfung des Mooses nötig, um die Keimfähigkeit anderer enthaltender Saatkörner in der späteren Erde zu behindern.
Genehmigungen und Naturschutzbestimmungen
Dass Moorflächen wiedervernässt und mit Paludikulturen bewirtschaftet werden sollen, steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Dies auf Kreisebene allerdings umzusetzen, ist offenbar keine Selbstverständlichkeit. Dass einige Angelegenheiten von Landkreis zu Landkreis anders gehandhabt werden, können Landwirte aus wohl allen Bundesländern bestätigen, die noch auf Baugenehmigungen warten.
Aktuell erfahren wir rundum viel Rückenwind für unser Vorhaben."
So befindet sich auch das Team von ZukunftMoor derzeit im Genehmigungsprozess mit der entsprechenden Unteren Naturschutzbehörde. Verständlicherweise will sich Waldersee deshalb nicht zu sehr in die Karten schauen lassen. Im Gespräch kann er aber die Hoffnung nicht verbergen, eine gewisse Aufbruchstimmung auch bei den genehmigenden Behörden zu verspüren. Er sagt: „Aktuell erfahren wir rundum viel Rückenwind für unser Vorhaben. Aber wer Neues wagt, stößt immer wieder auf Probleme, die man anfangs noch nicht vorhersehen konnte.“
Erleichternd kommt in diesem Fall hinzu, dass die angepeilten Flächen keinem Schutzstatus unterliegen. Sie liegen weder in einem FFH-Gebiet, noch müssen Auflagen zum Bodenbrüter- oder Wasserschutz beachtet werden. „Wir haben uns zu Anfang sozusagen eine ‚leichte‘ Fläche gesucht“, gibt Waldersee zu. „Was wir vorhaben, ist schon schwer genug umzusetzen.“ Lösungen für infrage kommende Flächen von interessierten Landwirten müssen später erarbeitet werden, wenn die Machbarkeit auf der Pilotfläche bewiesen ist.
Forderungen an die Politik
Das Team will zum Zeitpunkt der laufenden Behördengespräche jedenfalls nicht weiter auf Genehmigungsfragen eingehen. Müssen sie vielleicht auch nicht. Die Forderungen der Paludikultur-Befürworter an die Politik sind an anderer Stelle längst zu Papier gebracht.
Das GMC und die Universität Greifswald fordern beispielsweise in einem Faktenpapier: „Torfmoos ist zwar als landwirtschaftliche Nutzpflanze anerkannt, jedoch müssen jetzt weitere politische und rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden, um den Anbau aus der Pilotphase in die großflächige Umsetzung zu bringen, insbesondere durch:
- Sonderregelungen hinsichtlich Umnutzung von Dauergrünland in eine Torfmoos-Dauerkultur sowie für Arten- und Biotopschutz,
- Schaffung ökonomischer Anreize, zum Beispiel Investitionsförderung, Förderung von Beratungen und Kooperationen,
- Honorierung der Klimaschutzleistung und weiterer Ökosystemleistungen."
Ein Start-up riskiert keinen Familienbetrieb
Bei allen Eventualitäten und ungelegten Eiern spürt man, dass es das Start-up ernst meint und durchaus zuversichtlich ist – auch mit der langfristigen Einbindung landwirtschaftlicher Betriebe. Nicht umsonst touren Paul Waldersee, Julia Kasper und Lucas Gerrits derzeit von einem Moorgipfel zum nächstenund stellen sich den Fragen interessierter Landwirte.
Dort kann schon mal Gegenwind herrschen. Daher sagt Waldersee: „Wir sind nicht gegen Milcherzeugung oder Ackerbau. Wir wollen eine Lösung für jetzige Problemflächen bringen, über die sich der Landwirt sowieso jeden Tag ärgert.“
Ebenso muss das Team mit allzu hohen Erwartungen von Moorlandwirten umgehen, die händeringend Alternativen suchen. Waldersee bremst: „Wir wissen, dass wir als junges Start-up in einer unabhängigen Ausgangssituation sind. Landwirtschaftliche Betriebe können die Umstellerjahre ohne eine Umstellerprämie und finanzielle Unterstützung bei der Umrüstung der Flächen wahrscheinlich nicht überstehen.“
Ob Gegenwind oder letzter Strohhalm – der Weg zu nassen Mooren und rentabler Paludikultur ist noch lang. Waldersee sagt: „Das Thema ist sehr komplex. Schwarz-Weiß-Denken mit Beschuldigungen, egal ob gegen Landwirtschaft, Politik oder Verwaltung, helfen niemandem!“